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  • Christian Urlage

Warum Regionen schrumpfen oder wachsen

Deutschlands Landkreise und Städte werden sich bis 2045 sehr unterschiedlich entwickeln. Das zeigt eine Bevölkerungsprognose. Damit werden zugleich die gewaltigen Herausforderungen erkennbar


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Menschen auf Zebrastreifen
Foto: B_Me

Deutschland wächst und wird älter. Das zeigt die Bevölkerungsprognose des Bundesinstituts für Bau, Stadt- und Raumforschung (BBSR): Demnach werden 2045 rund 800.000 Menschen mehr in Deutschland leben – das entspricht einem Anstieg um 0,9 Prozent. Die Bundesrepublik zählt dann 85,5 Millionen Einwohner. Doch regional werden sich die Landkreise und Städte laut BBSR völlig unterschiedlich entwickeln und nicht überall mehr Einwohner zählen. Das macht eine Karte von „tagesschau.de“ deutlich.


Zunehmen wird die Bevölkerung in Großstädten und dem Umland, zunehmen wird sie auch in den meisten ländlichen Regionen Bayerns und Baden-Württembergs, in den meisten Regionen Niedersachsens, im Westen von Nordrhein-Westfalen, in Leipzig sowie in Berlin und weiten Teilen seines Umlands, etwa Potsdam. In zahlreichen Kreisen werden Sterbeüberschüsse durch Wanderungsgewinne kompensiert.


Bis zu 20 Prozent weniger Einwohner


Kleiner wird die Bevölkerung der Prognose zufolge in mehr als einem Drittel aller kreisfreien Städte und Landkreise. Das betrifft viele strukturschwache Regionen abseits der Metropolen, insbesondere im Osten Deutschlands. Demnach verlieren die Landkreise Erzgebirgskreis in Sachsen, Greiz in Thüringen und Mansfeld-Südharz in Sachsen-Anhalt bis 2045 sogar mehr als ein Fünftel ihrer Bevölkerung. Weniger Einwohner sind aber ebenso in Regionen Westdeutschlands zu erwarten: in Teilen von Nordhessen, den angrenzenden Gebieten im Osten Nordrhein-Westfalens und in Teilen des Saarlandes.


Zugleich wird Deutschland älter – die Zahl der Menschen im Rentenalter ab 67 Jahren erhöht sich laut BBSR bis 2045 in Deutschland um 2,2 Millionen; das entspricht einem Wachstum von 13,6 Prozent. Abgelegene und schrumpfende Gebiete weisen laut BBSR das höchste Durchschnittsalter auf – hier muss die Regionalpolitik besonders intensive Anstrengungen unternehmen, um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zu garantieren.


Gewaltige Herausforderungen durch die Bevölkerungsentwicklung


Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesinstituts treffen ihre Annahmen auf der Grundlage langfristiger demografischer Entwicklungen. Dazu gehören Außen- und Binnenwanderungen, die Sterbe- und die Geburtenrate. Das BBSR geht zudem davon aus, dass die Zuwanderung aus dem Ausland in den kommenden Jahren hoch bleiben wird.


Die gegenläufige Bevölkerungsentwicklung führt zu gewaltigen, teils gegensätzlichen sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen: Für alle Regionen bleibt die Aufgabe, Zuwanderer in den Arbeitsmarkt zu integrieren, aber auch in den Alltag. In Großstädten und im jeweiligen Umland werden Immobilien weiterhin stark nachgefragt werden, ebenso Kita-Plätze und Dienstleistungen wie die Pflege. Mindestens genau so viel Aufmerksamkeit verdienen strukturschwache, dünn besiedelte ländliche Räume, gerade im Osten Deutschlands. Sie brauchen die Unterstützung des Bundes, der Länder und der Europäischen Union, um lebenswert zu bleiben.


Wie Binnenwanderungen mit AfD-Erfolgen zusammenhängen


Die Wahlerfolge von AfD und BSW bei der Europawahl in Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg haben auch mit den Binnenwanderungen zu tun. Darauf hat zu Recht der frühere Brandenburger Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen“ hingewiesen, als er die Stimmung in Ostdeutschland beschrieb. Klein- und Mittelstädte hätten nach der Wende in kurzer Zeit ein Drittel bis zur Hälfte ihrer Einwohner verloren, „wer das nicht erfahren hat, kann es sich kaum vorstellen“, so Platzeck.


Platzeck: Für Pflege durch Angehörige ist im Osten keiner mehr da


Ostdeutschland hat nach seinen Worten mit der Wende Hunderttausende junge Leute verloren, die heute vorwiegend im Westen Deutschlands arbeiten. „Das verändert eine Gesellschaft, weil da nicht nur die Zukunftshoffnung, sondern auch der Mut in Teilen fortgeht“, sagte Platzeck und fügte hinzu, die Wirkungen seien bis heute spürbar.


Für die Pflege durch Angehörige ist im Osten laut Platzeck fast keiner mehr da. Viele Jüngere seien weg, und die Älteren hätten den Eindruck: „Auf meine Kinder brauche ich nicht zu zählen.“ Außerdem seien fast drei Viertel aller wichtigen Leitungs- und Machtfunktionen im Osten von Westdeutschen besetzt. „Stellen Sie sich mal vor, fast alle Chefposten in Bayern wären von Ostdeutschen besetzt, da gäbe es bestimmt einen Aufstand“, erklärte Platzeck.

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