Vor der Kulisse des Niedergangs
- Frank Polke
- vor 10 Stunden
- 3 Min. Lesezeit
Die Länder im Osten kämpften schon immer mit Abwanderung. Doch der demografische Niedergang könnte sich bald noch verschärfen

Diese Zahlen bergen weit über den Osten hinaus demografischen Sprengstoff – gerade auch für das Verhältnis zwischen Stadt und Land, zwischen Ost und West. Nach Vorausberechnungen zur Entwicklung der Bevölkerung, die das Statistische Bundesamt ausgewertet hat und die kurz vor Weihnachten in die Öffentlichkeit durchgesickert sind, stehen die östlichen Bundesländer vor einem weiteren erheblichen Bevölkerungsrückgang.
Betroffen sind alle Flächenstaaten Sachsen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Laut Statistikern sinkt die Zahl der heute 14 Millionen Menschen in den Flächenstaaten des Ostens (herausgerechnet ist Berlin) in allen Berechnungsvarianten bis zum Jahr 2070 um 14 bis 30 Prozent. Dagegen sagen die Forscher für die westdeutschen Flächenländer eine relativ stabile Einwohnerzahl voraus, die Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin sollen sogar leicht wachsen. Grund dafür ist die hohe Zuwanderung aus dem Ausland, die in die ostdeutschen Länder überhaupt nicht zu erwarten ist.
Beispiel Sachsen-Anhalt: Die dortige Bevölkerung schrumpft laut Prognose in den kommenden Jahrzehnten deutlich. Ab 2031 könnten in Sachsen-Anhalt weniger als zwei Millionen Menschen leben. Langfristig sagen die Statistiker einen Rückgang um bis zu einem Drittel voraus. Bis 2070, dem letzten Jahr der Prognose, sinkt die Einwohnerzahl in Sachsen-Anhalt auf 1,39 bis 1,72 Millionen. Auch in Thüringen – hier schrumpfen sogar die Mittelzentren Erfurt und Gera weiter – geht die Zahl der Einwohner stark zurück, in Sachsen – Ausnahme Leipzig und Dresden – ist eine ähnliche Entwicklung zu erwarten.
Leerstand verschärft sich
All dies stellt alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens vor erhebliche Herausforderungen. Gerade im ländlichen Raum fehlen Investitionen in privatwirtschaftliche Bereiche wie Land- und Forstwirtschaft, ins Gesundheitswesen oder in attraktive Freizeitangebote. „Wenn keine Nachfrage zu erwarten ist, wird sich jedes Unternehmen doppelt und dreifach überlegen, warum es dann in dieser Region investieren soll. Woher soll die Nachfrage kommen, wenn keiner mehr da ist. Der Staat kann keine Freizeitangebote und Shoppingcenter bauen oder gar unterhalten“, sagt ein Abgeordneter aus Sachsen-Anhalt, der seinen Namen nicht nennen mag. Fehlende Investitionen wirken sich auch auf die gesamte Infrastruktur aus, da Steuereinnahmen fehlen. Konsequenz: Junge und mobile Menschen ziehen gerade aus den Regionen ohne Oberzentren weg, in den Westen oder in wachsende Städte wie Berlin, Leipzig oder Dresden. Ein negativer Kreislauf.
Schon heute steigen die Mieten selbst in teuer restaurierten Städten wie Görlitz, Suhl oder Schwerin nicht mehr, da das Wohnangebot die Nachfrage hier deutlich übersteigt. Steht einmal ein Gebäude leer, setzt schon schnell der Verfall ein.
Showdown in Magdeburg
Schon heute hat genau dieses Gefühl des Auseinanderdriftens zwischen Stadt und Land, zwischen Jung und Alt, zwischen Gut-Ausgebildet und Zurückgeblieben auch eine politische Dimension. In Sachsen-Anhalt, wo im kommenden Jahr ein neuer Landtag gewählt wird, sind noch knapp 1,4 Millionen Stimmberechtigte aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. 1,4 Millionen Menschen, denen im Alltag sehr selten das Gefühl des Aufbruchs begegnet, sondern die vor der Kulisse des demografischen Niedergangs das im Osten gern gepflegte Gefühl der Benachteiligung in ihrer Stimmabgabe ausdrücken. Aktuell liegt die AfD, die kein einziges Rezept gegen den Bevölkerungsschwund hat, sondern auch eine Ursache dafür ist, in aktuellen Umfragen bei knapp 38 Prozent. Vier Prozentpunkte mehr und es könnte unter Umständen für die Mehrheit im Landtag von Magdeburg genügen.
Das Erstarken der Rechtspopulisten – es dürfte die Neigung von Firmen und Institutionen, sich zu engagieren oder zu investieren, nicht größer werden lassen. Denn es braucht junge und gut ausgebildete Menschen, die diese Arbeitsplätze ergreifen. Doch genau daran fehlt es schon jetzt.


