Einen negativ-kritischen Blick auf das Leben in den Dörfern wirft Björn Vedder in seinem neuesten Buch. Gut vermarktet hat er seine kruden Thesen jedenfalls
Zwei Gummistiefel zieren das Cover von Björn Vedders neuem Buch: ein dreckiger schwarzer und ein glänzender roter. Sein Werk „Das Befinden auf dem Lande – Verortung einer Lebensart“ enthält steile Thesen und produziert Schlagzeilen. Zum Beispiel: „Philosoph Björn Vedder: Landleben macht reaktionär“. So ist in der Audiothek ein Beitrag des Radiosenders SWR2 überschrieben. „Ich lebe im Dorf, holt mich hier raus“, titelte faz.net griffig, und die Süddeutsche Zeitung zitierte ihn mit dem Satz „Ich hadere mit der Mentalität“.
Zwar findet der Autor das Landleben nicht nur schlecht, und Vedder erkennt durchaus praktische Vorteile und genießt die frische Luft. Doch er beklagt eine starke soziale Kontrolle, eine Ausgrenzung und Verachtung derjenigen, die sich nicht einfügen wollten. Und er wirft Dorfbewohnern vor, sie würden sich zu sehr in das Leben anderer einmischen. Mit seinem Essay, so behauptet er, habe er nur darauf hinweisen wollen, dass es in der deutschen Gesellschaft eine Tendenz zur „mentalen Verdörflichung“ gebe. Und diese „Selbstprovinzialisierung“ sei es wert, dass man sie sich genauer anschaue. Oha. Da blickt jemand von oben reichlich blasiert herab auf die Bewohner in den Dörfern.
Diese schlichte negative Sicht unterscheidet sich jedenfalls erheblich von Sachbüchern, in denen Autoren das Leben auf dem Land in Vergangenheit und Gegenwart in weitaus differenzierteren Farben zeichnen – etwa Ewald Frie in seinem Bestseller „Ein Hof und elf Geschwister“, der eine präzise, erfahrungsgesättigte Beschreibung des Landlebens liefert, ohne sie zu romantisieren.
Von der Mietwohnung in München ins Haus am Ammersee
Björn Vedder ist in den 1980er Jahren in der Nähe von Höxter im Weserbergland aufgewachsen und muss in dieser Zeit wohl ganz schlimme Erfahrungen gemacht haben, die bis heute nachwirken. Lange hat er mit seiner Frau in einem Münchener Altbau gelebt und als Journalist Kritiken über Opern, Konzerte und Theateraufführungen geschrieben. Dann hat er mit seiner Familie die Metropole verlassen und ist in einen wohlhabenden Ort gezogen, in ein ehemaliges Fischerdorf am oberbayrischen Ammersee, der Kinder wegen: Die sollten raus aus der Enge der Mietwohnung und im Garten toben können.
„Ich bin aufgrund meiner Erfahrungen zu der Überzeugung gekommen, dass das Landleben die Niedertracht nährt, die Verspottung der vermeintlich Schwächeren begünstigt und ihrer öffentlichen Beschämung Vorschub leistet, weil es ein Leben der Gemeinschaft ist.“ Wer so einseitig und pauschal das Landleben skizziert, muss sich vorwerfen lassen, dass er einfach nur polemisiert, ohne den Alltag in den Dörfern, ohne seine Nachbarn wirklich zu kennen. Dass dort nicht überall Idylle herrscht und eine romantische Verklärung nicht angebracht ist, das wird in diesem Blog Woche für Woche hinlänglich beschrieben.
Zahlreiche prominente Schriftsteller erwähnt
Vedder erwähnt in seinem Buch zahlreiche prominente Schriftsteller, womöglich, um Belesenheit zu demonstrieren. Die Schriftstellerin Annette von Droste Hülshoff ist beispielsweise erwähnt, Theodor Storm, der Philosoph Immanuel Kant und der Dramatiker Botho Strauß. Dessen Aufsatz „Anschwellender Bocksgesang“ zeige, „welcher Geist in der rechten Landlust weht“, nämlich der Geist der Abspaltung von der modernen Gesellschaft.
Mit derartigen Behauptungen schafft man es, auch in überregionalen Medien vorzukommen und sich selbst geschickt zu vermarkten. Aber man hat den Eindruck, dass der Autor seinen eigenen Vorurteilen erlegen ist. Und fragt sich, ob ihm „das“ Landleben wirklich vertraut ist, zumal die Urlaubsregion Ammersee nicht gerade typisch ist für ein ländliches Gebiet in Deutschland und es in Mecklenburg, in der Lüneburger Heide oder Süd-Thüringen ganz anders aussehen kann.
Ebenso stellt sich die Frage, ob Björn Vedder in seiner neuen Heimat schon mal länger mit Bauern, Handwerkern oder einem Schützenkönig, mit Jägern oder Müttern gesprochen hat. Im Buch kommen sie jedenfalls kaum vor. Die Rezensentin in der Frankfurter Allgemeinen monierte daher zu Recht, man ärgere sich teilweise „über die enge Perspektive, die am eigenen Tellerrand endet“.
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