Die Hirsche büßen für den Klimawandel

In Bayern soll beim Kampf gegen das Waldsterben sogar der Muttertierschutz fürs Rotwild weitgehend gelockert werden

Foto: Antranias
Foto: Antranias

 

Von Michael Lehner

 

Dass der Wald vor allem durch Dürre und Hitze stirbt, liegt auf der Hand. Trotzdem gibt es Forstbetriebe, die das Problem durch immer brutalere Jagdmethoden auf Reh, Hirsch und Gams lösen wollen. Vor allem in Bayern, aber auch in anderen Bundesländern. Wie in Rheinland-Pfalz, wo die höchst umstrittene Jagdrechtsnovelle großzügigste Ausnahmen beim jagdlichen Tierschutz erlauben soll.

 

Die heftigsten Auseinandersetzungen finden – wieder einmal – im bayerischen Alpenraum statt. Dort, wo es sogar schon Bußgeldbescheide gab, weil Forstbeamte sich nicht um verbindliche Abschusspläne scherten, bei deren Erstellung der Forst ein gewichtiges Wort mitspricht. Nebenbei geht es dabei auch um das Forstamt, in dem einer der bundesweit lautesten Befürworter der Ansiedlung von Wölfen Dienst getan hat.

 

Auch eine auf möglichst ungehinderte Ausbreitung ausgerichtete Raubtierpolitik gehört zu den waldbaulichen Strategien einer Forst-Denkschule, die klimatische Veränderungen und Schadstoffbelastung zwar zu den Ursachen des Waldsterbens zählt, aber drastische Dezimierung der Schalenwildbestände als Maßnahme der Soforthilfe predigt, bei der Wölfe als Mitjäger höchst willkommen sind.

 

„Wald vor Wild“ ist zum Schlachtruf geworden

 

In Bayern, wo sich die Staatsregierung zum konsequenten Abschuss von Problemwölfen durchgerungen hat, um die Weidewirtschaft zu schützen, ist die Hoffnung auf tierische Helfer beim Kampf gegen das Schalenwild so oder so eher hinfällig. Dafür haben Förster die Landwirtschaftsministerin und eine satte Landtagsmehrheit hinter sich beim Motto „Wald vor Wild“, das über die Jahre schier zum Schlachtruf geworden ist.

 

Aktueller Höhepunkt: In drei Revieren im Landkreis Garmisch-Partenkirchen wollte der Forst die Jagdsaison auf Hirsche deutlich verlängern. Auf eine Klage des Vereins „Wildes Bayern“ musste das Landratsamt in zwei der drei Reviere die bereits bewilligte Schonzeitverkürzung umgehend stoppen. Eben jenes Landratsamt, das den Staatsforstbetrieb Oberammergau im Jahr 2015 zu einem Bußgeld von 10.000 Euro verdonnerte, weil dort der Abschussplan um 68 Hirsche überschossen wurde.

 

Aktuell setzten die Förster aus dem Passionsspiel-Dorf noch einen drauf: „Nicht führende Alttiere“, also weibliche Hirsche, die keine Kälber bei sich haben, sollten bereits im Mai den Mutterschutz verlieren – und nicht erst im August, wie es das Jagdgesetz vorschreibt. Hintergrund: Selbst erfahrene Rotwildjäger tun sich schwer mit der Beurteilung, ob sie nun eine unfruchtbare, sehr alte Hirschkuh vor der Büchse haben – oder ein „Stuck“, das im Frühsommer demnächst Kälber gebären wird.

 

Foto eines erstickten Hirschkalbs sorgt für Aufregung

 

Prompt veröffentlichte der Münchner Merkur das Foto eines Hirschkalbs, das jämmerlich im Mutterleib erstickte, nachdem das Alttier in der Schonzeit erlegt wurde. Ein paar Tage noch und das Kalb wäre quicklebendig zur Welt gekommen. Nicht nur Jäger und die in Garmisch höchst aktiven Tierschützer protestierten. „Wildes Bayern“ rügt einen klaren Verstoß gegen das Tierschutzgesetz und droht mit Klagen „durch alle Instanzen“.

 

Beim Bundesverwaltungsgericht wird bald über eine Klage des Vereins verhandelt, die ans Eingemachte gehen könnte: Betroffen ist wiederum das Staatsjagdrevier Oberammergau. Und die Regierung von Oberbayern, die per Verordnung auf gut 3000 Hektar des 34.000 Hektar großen Forstbezirks die Schonzeit faktisch komplett aufgehoben hat. Mehr „Wald vor Wild“ geht wohl nicht. 

 

Die Signalwirkung in andere Bundesländer ist schon zu spüren. Auch in Brandenburg, wo momentan ernsthaft diskutiert wird, Grundbesitzern auf einer Fläche von einem (1 !) Hektar die Büchse freizugeben. Womöglich auch eine Reaktion auf eine umfassende Untersuchung der staatlichen schwedischen Forst-Universität (SLU): Dort haben die Wissenschaftler nachgewiesen, dass es dem Wald in Wolfsregionen kein bisschen besser geht als Forsten ohne Wolfsvorkommen. Könnte ja sein, dass ein Volk unter (Jagd-)Waffen den Wald rettet?

 


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