In ihren Romanen geht es um Menschen, die in Dörfern leben – damit ist die Schriftstellerin Dörte Hansen bekannt geworden. Sie wohnt selbst auf dem Land und wendet sich gegen Klischees
„Altes Land“, „Mittagsstunde“ und „Zur See“: Diese drei Romane haben Dörte Hansen bekannt gemacht. Alles Bücher, die in Dörfern spielen. Einen Beweggrund, sich schreibend dem Leben auf dem Land zu widmen, nannte die Autorin und Radiojournalistin aus Nordfriesland kürzlich beim FAZ-Kongress „Zwischen den Zeilen“. In einem Gespräch mit FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube sagte sie, es gebe eine Flut von Büchern über das Landleben, die fast alle nach demselben Muster gestrickt seien: Großstadtmüder Mensch zieht auf das Land und weiß schon nach kurzer Zeit, wie das Landvolk tickt.
„Ich fühlte mich in diesen Büchern immer so vollkommen falsch dargestellt als Mensch, der vom Land kommt“ – und der auch jetzt wieder auf dem Land lebt. Dörte Hansen hatte das Gefühl: Die Deutungshoheit über das Landleben liegt bei Leuten, die sich auf dem Land gar nicht besonders gut auskennen. „Denn die Leute auf dem Land schreiben in der Regel keine Bücher.“ Diese Darstellung hielt sie für einseitig; sie bereitete ihr gewissen Ärger. Und das war der Impuls, den Roman „Altes Land“ zu schreiben – ein Werk, das zum Jahresbestseller 2015 der „Spiegel“-Bestsellerliste wurde.
„Das Land ist offensichtlich erklärungsbedürftig“
Bemerkenswert findet sie, dass es bei ihren Büchern jeweils heißt, sie habe einen Dorfroman geschrieben. Denn wenn jemand über Menschen in Berlin schreibt, ist das nicht so; niemand würde dann sagen: Er oder sie hat einen Stadtroman geschrieben. „Das Land ist offensichtlich erklärungsbedürftig“, stellt die Autorin dazu fest. Das war Anfang des 20. Jahrhunderts noch anders, als Schriftsteller wie Knut Hamsun das bäuerliche Leben beschrieben und dafür den Nobelpreis für Literatur erhielten.
Dörte Hansen, 1964 in Husum geboren, ist selbst als Tochter eines Handwerkers in einem Dorf aufgewachsen, im 400-Einwohner-Ort Högel. Nach ihrem Studium in Kiel, Jahren in Hamburg und im Alten Land wohnt sie jetzt wieder mit ihrer Familie in Nordfriesland. Aber auch wenn sie zu Hause Plattdeutsch spricht – eine Dorfbewohnerin, wie man sie sich typischerweise vorstellt, ist sie nicht: Weder mischt sie bei den Landfrauen mit noch im Schützenverein oder bei der Freiwilligen Feuerwehr.
„Letztlich schreibe ich über Verlust“
Die Dörfer haben sich verändert, ist die Autorin überzeugt. Heterogener seien sie geworden. Die Landwirtschaft spielt mittlerweile nur noch eine kleine Rolle – und im Dorf kann es genauso anonym zugehen wie in der Stadt. Es ist nicht mehr so, dass jeder jeden kennt, auch weil sich mitunter Zugezogene bewusst abschotten.
In „Mittagsstunde“ beschreibt Dörte Hansen die Veränderung der Dörfer durch die Flurbereinigung, das Verschwinden der kleineren Betriebe und die Zerstörung der ländlichen Idylle. Und das formuliert sie auf eine Art und Weise, mit der sich offenbar so manche Leserin und so mancher Leser identifiziert haben. Oft sind es diejenigen, die selbst im Dorf aufgewachsen sind, die als erste in der Familie Abitur machen und dann studieren – und damit einen ganz anderen Weg gehen als ihre Klassenkameraden.
Häufig sind es Menschen, die als junge Erwachsene vom eng empfundenen Dorf in die Großstadt wechseln, aber dort nicht richtig ankommen. „Wir wissen, wovon wir wegwollen, aber wir wissen nicht, wo wir hinwollen“, formuliert das Dörte Hansen im Gespräch mit FAZ-Herausgeber Kaube und bilanziert: „Letztlich schreibe ich über Verlust.“
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