Streit um Deutschlandticket – Aiwanger und die Jagd – Vorurteile gegen die Wurst

Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche

 

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Liebe Leserinnen und Leser,

 

für den ländlichen Raum mit seinen teils sehr langen Verkehrswegen stand in dieser Woche viel auf dem Spiel. So schreckte die Drohung von Bundesverkehrsminister Volker Wissing auf, wegen der Vorgaben des Klimaschutzgesetzes möglicherweise an einzelnen Tagen Fahrverbote verhängen zu müssen. Wer fernab der großen Metropolen mit ihren engen Nahverkehrsnetzen lebt, ist für viele alltägliche Dinge zwingend auf ein Auto angewiesen: vom Einkaufen im Supermarkt über den Arztbesuch bis zu sozialen Kontakten. Denn wo Busse und Bahnen nicht oder nur selten fahren, müssen Bürger zumeist auf den eigenen Pkw zurückgreifen. Dies trifft insbesondere für ältere Menschen zu, die lange Fußwege oder Fahrradstrecken nicht mehr aus eigener Kraft bewältigen können. 

 

Ob Wissing seine spektakuläre Drohung tatsächlich ernst gemeint hatte oder sie am Ende nur im koalitionsintern Verhandlungspoker in Sachen Klimaschutzgesetz einsetzen wollte, mag dahingestellt sein. Denn erfreulicherweise ist es nicht zum Äußersten gekommen. Gleichwohl bleibt die Verkehrspolitik aus Sicht des ländlichen Raums ein großes Ärgernis. Daran konnten auch die zuständigen Minister von Bund und Ländern auf ihrer jüngsten Konferenz in Münster wenig ändern. Sie lobten dort zwar ihre vermeintliche Wohltat 49-Euro-Ticket, konnten jedoch noch keine Einigung über die weitere Finanzierung erzielen. Die verbilligten Fahrscheine kosten Bund und Länder bisher immerhin jährlich je 1,5 Milliarden Euro. Und die Länder erhalten wegen der verbilligten Deutschlandtickets auch noch weniger Einnahmen aus dem Fahrkartenverkauf. Das Ganze ist also für die Steuerzahler eine recht teure Angelegenheit.

 

Zu wenig Geld für Nahverkehr

 

Nun soll der öffentliche Nahverkehr aus Kostengründen wohl weiter ausgedünnt werden, weil nicht genug Geld im System ist. Kein Wunder, denn die Subventionierung des Deutschlandtickets kostet viel Geld, das an anderer Stelle – sprich bei den Investitionen – fehlt. Von der viel beschworenen Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs im ländlichen Raum dürfte unter diesen Umständen wenig übrig bleiben – ein Armutszeugnis für Politiker, die gern von der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse sprechen, aber sie durch ihr praktisches Handeln konterkarieren. Dabei ist der Investitionsbedarf riesig. Bis zum Jahr 2031, also innerhalb der nächsten sieben Jahre, müssten laut einer Studie im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums bis zu 31 Milliarden Euro in den Nahverkehr fließen – fast dreimal so viel wie aktuell. Ein solcher Betrag scheint unter den gegenwärtigen politischen Rahmenbedingungen reines Wunschdenken zu sein. Gewiss, hier ist der Bund gefordert, aber nicht zuletzt die Länder selbst müssten einiges mehr tun. So beteiligte sich etwa Niedersachsen im vergangenen Jahr nur mit weniger als zehn Prozent an der Finanzierung seines Nahverkehrs. Eine Politik pro Schiene sieht gewiss anders aus.

 

„Wir sind jetzt in einer Situation, dass keine Reserven mehr da sind. Ganz im Gegenteil: Überall sind die Zahlen tiefrot … Alle Bundesländer werden Verkehre reduzieren müssen.“

Oliver Krischer, grüner Verkehrsminister in NRW und Vorsitzender der deutschen Verkehrsministerkonferenz

 

Apropos ländlicher Raum. Dort wird so manches politisch anders gesehen und bewertet als in grün-alternativen Großstadtmilieus. Das gilt etwa für das Thema Jagd. Parteien sind gut beraten, wenn sie diese Unterschiede im Blick behalten und sich nicht einseitig am vermeintlich modernen und fortschrittlichen Stadtleben orientieren. Wie dies geht, zeigt momentan Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger. Er ist seit den letzten Landtagswahlen auch für Jagd und Forst zuständig. Während sich das Satire-Fernsehen noch immer über die neue Rollenverteilung lustig macht, verbreitet der Vorsitzende der Freien Wähler bereits Angst und Schrecken – vor allem unter Öko-Förstern. Zum Beispiel mit einem Erlass, der den Unteren Jagdbehörden Schonzeitverkürzungen beim Rehwild weitestgehend untersagt. Auf dem (nichtöffentlichen) Landesjägertag wurde der Minister für solche Sätze gefeiert: „Am Ende verbeißen 30 gestresste Rehe, die sich nicht mehr auf die Grünland-Äsung raustrauen, mehr, als 50 Rehe, die diese Äsung aufgrund Jagdruhe im Frühjahr nutzen können.“

 

Grenzen für Rehwild-Bejagung

 

Mittlerweile sind auch die Details der Vollzugsanordnung bekannt, mit der Aiwanger einer zunehmend schrankenlosen Rehwild-Bejagung Grenzen setzt. Anträge auf Schonzeitverkürzung dürfen ab sofort nur noch dann bearbeitet werden, wenn sie „konkret und umfassend“ begründet sind. Der pauschale Hinweis auf Wildschäden reiche nicht mehr aus. Und auch die Begründung nicht mehr, dass es nicht gelungen sei, die Abschussplanung innerhalb der Schusszeiten zu erfüllen.

 

Beim Thema Wolf hat der neue Jagdminister den Ton der bisher zuständigen Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber deutlich verschärft. Vor allem den Druck auf das Bundesumweltministerium. Dort müsse man endlich den hinhaltenden Widerstand gegen eine Lockerung beim bisher strengsten Artenschutz der Raubtiere aufgeben. Und akzeptieren, dass auch auf diesem Feld Management und Bestandsregulierung bei den Jägern in guten Händen sind. Was einige Staatsförster ebenso wenig freut wie Aiwangers Forderung, dass sie lieber intensiver auf Füchse und Sauen jagen sollen und Reh- und Rotwild nicht nur als Schädling sehen: „Gönnen wir doch dem Reh, gönnen wir doch dem Rotwild ein paar Wochen Ruhe!“

 

Beim Stichwort Jagd geht es bekanntlich auch um das Thema Ernährung. Denn Wildfleisch ist ein hochwertiges Lebensmittel, wie unser Autor Michael Lehner von einer Pressekonferenz des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) für unseren Blog berichtet. BfR-Präsident Andreas Hensel stellte dort dem heimischen Wildbret ein gutes Zeugnis aus. Es sei mindestens so gesund wie andere Lebensmittel und werde gut überwacht – eine wichtige Aussage, auch wenn sie einigen Bürgern nicht passen sollte. Denn das Thema Fleisch bewegt immer wieder kontrovers die Gemüter. Das wird auch in den Medien ständig befeuert – positiv wie negativ. Da spielen Weltanschauungen eine Rolle und wir lesen das in den vielen Reaktionen von Leserinnen und Lesern unseres Blogs in voller Bandbreite zwischen Genuss-Begeisterung auf der einen Seite und totaler Fleischablehnung mit Ekel-Zitaten auf der anderen. 

 

Das teuerste Fleisch der Welt

 

Das Gourmetmagazin Falstaff etwa schreibt euphorisch über „das teuerste Fleisch der Welt“, das aus der japanischen Präfektur Hyogu mit der Hauptstadt Kobe kommt und allerstrengsten Qualitätsregeln unterliegt. Kobe oder auch Wagyu sei einfach das Beste, was man in die Pfanne legen könne. Hier geht es um Mythen. Auf der anderen Seite stehen dann immer wieder auch Ekel-Mythen. Sie werden gern von Autoren bemüht, die offensichtlich eher auf der fleischkritischen oder gar missionarisch ablehnenden Seite zu verorten sind. Sie bekommen ihre Sendeplätze – so wie am Mittwochabend im ZDF. Da ging es für die Autoren um die Wurst. So sehr, dass sogar eine kurzfristige Programmänderung erfolgte.

 

In Deutschland haben wir eine Lebensmittelüberwachung und Audits zur Sicherung vorgegebener Standards in der Produktion. Die werden dann gern und immer wieder investigativ infrage gestellt. So werden sogar auf dünnem Eis strafrechtliche Schuldvermutungen in die Wohnzimmer gesendet. In unserer Redaktion haben wir über das aktuell gesendete öffentlich-rechtliche Medienprodukt unter dem Titel „Wurst unter Verdacht“ und Fragen wie Seriosität der Recherche sowie Fairness in der Berichterstattung diskutiert. Grenzen sind nach unseren teils jahrzehntelangen Erfahrungen vor allem dann einzuhalten, wenn die Vorgänge im Gerichtssaal landen könnten. Das wurde uns gerade auch diese Woche an der Ahr demonstriert, wo es trotz vieler Indizien bei aller öffentlichen Meinung gegen den Ex-Landrat zur Flutzeit nicht zur Anklage kommt. 

 

Foto: Timo Klostermeier / pixelio.de
Foto: Timo Klostermeier / pixelio.de

Sendung soll Appetit verderben

 

Meine Kollegen und ich sind zu dem Ergebnis gekommen, dass in dem Fall der zitierten Wurst-Sendung das Wort „Verdacht“ im Titel zutreffend ist – mehr aber auch nicht. Etwa, wenn einem seriösen und bis in den letzten Fleischwolf überprüften bekannten Wursthersteller „vorsätzlicher Betrug“ ohne vollständige Beweisführung unterstellt wird. Gerichtsfest wären die entsprechenden Behauptungen unserer Meinung nach nicht. Aber es dürfte natürlich keinem mehr schmecken, wenn da bei der angeblichen, jedoch letztlich nicht bewiesenen Zumischung einer wohl von der Lebensmittelkontrolle unbeanstandeten Fleischmasse Beschreibungen wie „Pampe“ oder „Fensterkitt“ über den Sender kommen. Mit diesen Worten eines der Öffentlichkeit unbekannten Fleischers und eines pensionierten Lebensmittelkontrolleurs soll der Appetit auf Wurst vom Discounter schlichtweg verdorben werden.

 

Aufgefallen ist uns das Thema, weil der für die Kommunikation des betroffenen Unternehmens Verantwortliche vorab gepostet hat, was die Zuschauer wohl zu erwarten hätten. Man konnte sich dann nach der Sendung darüber ein Bild machen, was er da nach monatelanger weitgehend fertiger Produktion kurzfristig noch zu sagen hatte – ohne allerdings das ganze Filmmaterial zu kennen. Um im Geschmacksbereich zu bleiben: Dies war ein TV-Aufreger unter Zumischung von offensichtlich verschimmeltem Archivmaterial. Kultiviert wurden Vorurteile und Misstrauen gegen ein Unternehmen mit angeblich zwielichtigen Betrugsgesellen. Die Story sollte wohl denjenigen den Appetit verderben, die gern Fleisch oder Wurst essen, sich aber das nicht leisten können, was wir im Falstaff zum Thema Fleischkonsum – Stichwort Kobe – zuvor gelesen und zitiert haben …

 

Ich wünsche Ihnen eine gute, positive Woche und verbleibe mit den besten Grüßen 

Ihr Jürgen Wermser

Redaktionsleitung/Koordination

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