Die neu erwachte Landliebe der CSU

Vor allem die Erfolge der Freien Wähler schärfen den Blick für die Probleme im ländlichen Bayern

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (Foto: Bayerische Staatskanzlei | © CSU-Fraktion)
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (Foto: Bayerische Staatskanzlei | © CSU-Fraktion)

 

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Von Michael Lehner

 

Bauern, Jäger und Handwerk müssen sich in Bayern derzeit keine Sorgen wegen mangelnder Aufmerksamkeit machen. Die Minister aus München geben sich die Türklinken in die Hand, wenn auf dem Land gefeiert oder diskutiert wird. Der böse Satz des CSU-Übervaters Franz Josef Strauß, dass die Abgeordneten bemerkenswert oft auf Feuerwehrfesten anzutreffen seien, bekommt neues Gewicht. Im ländlichen Raum hat die einst übermächtige Strauß-Partei bei der jüngsten Landtagswahl die gröbsten Verluste eingefahren.

 

Offenbar hat der Schuss vor den Bug gesessen. Bauern-Themen wie das Verbot der Anbindehaltung von Rindern schaffen es auf die vordersten Plätze der Tagesordnung bayerischer Kabinettssitzungen. Ministerpräsident Markus Söder erscheint höchstpersönlich, wenn im Zugspitz-Dorf Grainau Jungbauern die Frage diskutieren, ob sie noch eine Zukunft haben. Die Landwirtschaftsministerin hat der Regierungschef im Schlepptau, nicht nur in Grainau. Das flache Land, lautet die Botschaft, ist wieder Chefsache. Obwohl die fesche Ressort-Ministerin Michaela Kaniber auch alleine keinen schlechten Job macht, setzt Söder auf persönliche Präsenz. Und er hat sich unüberhörbar intensiv eingelesen in die aktuellen Themen von Ackerbau und Viehzucht.

 

Im Doppelpack erscheinen Kaniber und Söder auch beim Milchwirtschaftlichen Verein in Kempten. Eigentlich ein Routine-Termin zur Verlängerung des Pachtvertrags für das kleine Forschungs- und Ausbildungszentrum, in dem Wissenschaftler und Bauern gemeinsam daran arbeiten, die Argumente zu entkräften, die der Rinderhaltung Hauptschuld am Klimawandel nachsagen. Dagegen entwickeln sie hier Methoden, Gülle so aufzubereiten, dass die Fäkalien auch im modischen Licht veganer Betrachtungsweise bleiben, was sie immer waren: natürlicher Dünger fürs Grünland, das bis heute die Allgäu-Landschaft prägt.

 

Söder lobt Familienbetriebe

 

„Bayern steht zum ländlichen Raum‟, sagt Söder in Kempten: „Wir setzen in Bayern auf Familienbetriebe statt Agrarfabriken. Leider werden die bäuerlichen Betriebe von zwei Seiten bedrängt: von internationalen Billigprodukten aus dem Ausland und von zusätzlichen Auflagen des Bundes.‟ Wer genau hinhört, ahnt: Das wird nichts mehr zwischen Söder und den Grünen, die nach den Verlusten bei der Landtagswahl offen darüber debattieren, dass die Partei das Landvolk den Freien Wählern kampflos zur Beute überlassen habe. Wo sie doch einst Gallionsfiguren wie den Bio-Bauern Sepp Daxenberger im Angebot hatten. Einen, der es im schwarzen Chiemgau zum Bürgermeister brachte und es mit über 26 Prozent Erststimmen in den Landtag schaffte.

 

In die Rolle der zweitstärksten Partei in Bayern sind die Freien Wähler geschlüpft. Mancherorts stärker als CSU-Platzhirsche, trotz Flugblatt-Affäre ihres Vorsitzenden Hubert Aiwanger. Den hat die Enthüllung seiner Jugendsünde bundesweit bekannt gemacht und in die Talkshows gebracht. So viel Aufmerksamkeit, erkennen CSU-Strategen, tut ihrer Partei gar nicht gut. Schon gar nicht vor der Europawahl im kommenden Jahr. So wird die lange bewährte Arbeitsteilung obsolet: die CSU fürs gehobene Publikum und die urbane Öko-Blase. Die Freien Wähler fürs flache Land und jene Bauern, die mit esoterischen Rezepten für ihr Tun rein gar nichts anfangen können.

 

Wenn die Landwirtschaftsministerin nicht mit Söder unterwegs ist, tritt sie neuerdings auffallend oft an Aiwangers Seite auf. Nicht unbedingt zur gegenseitigen Unterstützung. Sondern eher für das Signal, dass auch die CSU noch Anspruch in der Fläche behaupten will. An Empathie und Sachkunde mangelt es Frau Kaniber nicht, eher an den spitzen Ellenbogen, die Aiwanger ohne Rücksicht aufs großstädtische Bürgertum ausfährt. „Wir zwei wissen genau, dass Politik kein Ponyhof ist“, sagt die CSU-Ministerin nach dem gemeinsamen Auftritt vor der Landesversammlung des Bayerischen Bauernverbands. Das Zweckbündnis geht ins siebte Jahr. Da pflegen angeblich auch richtige Ehen zu kriseln.

 

Wie der heimliche Jagd-Präsident

 

Mittlerweile ist sogar den meisten Journalisten die Belustigung darüber vergangen, dass Michaela Kaniber nach der Landtagswahl die Zuständigkeit für den Staatsforst und die Jagd an Aiwangers Wirtschaftsministerium abgeben musste. Der Niederbayer reizt die neue Plattform ohne Rücksicht auf CSU-Befindlichkeiten aus, wirkt manchmal schon wie der heimliche Präsident des Landesjagdverbands, den Söders Partei über Jahrzehnte als Erbhof betrachtete. Dass der Wald wachsen muss, bestreitet Aiwanger nicht. Aber im Gegensatz zum (noch) aktuellen CSU-Mainstream bezweifelt er laut, dass dafür überall in Bayern noch mehr Rehe und Hirsche abgeschossen werden müssen und Schonzeiten im Staatsforst irgendwie wie Schnee von gestern wirken.

 

„Mir ist schon klar, was sich manche denken‟, sagt Aiwanger beim Bauerntag: „Ohje, jetzt ist der Aiwanger zuständig für Hirsch und Reh – die werden uns jetzt alle Haare vom Kopf fressen.“ Noch bedeutender ist womöglich die Sorge mancher Öko-Förster, dass mit dem neuen Dienstherrn Karrieren in Gefahr kommen könnten. Zumindest laute Sympathien für den Wolf, der bei der Schalenwild-Bekämpfung hilft, sind aus der Forstpartie seit dem Machtwechsel kaum noch zu vernehmen. Es gibt sogar CSU-Politiker, die sich offen hinter Aiwangers Forderung stellen, die Wolfsbestände in Gebieten mit Weidetierhaltung wie jede andere Wildtierart zu regulieren.

 


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