Brüssel hat sich beim Pflanzenschutz verhoben  

Viele Landwirte können aufatmen: Die Pläne der Brüsseler Behörde, den Einsatz von Pestiziden drastisch zu reduzieren, scheitern im Europaparlament

Foto: WFranz
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Von Ludwig Hintjens

 

Unter der Überschrift „Green Deal“ plante die EU-Kommission unter Führung von Ursula von der Leyen gravierende gesetzliche Vorgaben für die Landwirtschaft.  So sollte der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bis 2030 um die Hälfte reduziert werden. Außerdem hatte die Kommission vorgeschlagen, Pestizide in sogenannten Schutzgebieten ganz zu verbieten. 

 

Der Gesetzgebungsvorschlag zur „Nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln“ (SUR), wie das Vorhaben offiziell heißt, ist krachend gescheitert. Maßgeblich mit den Stimmen von Grünen, Linken und Sozialdemokraten hat das Europaparlament in der vergangenen Woche die Position für die Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten versenkt. Das linke Spektrum des Parlaments wollte lieber kein Gesetz haben als eine Regulierung, die ihnen nicht weit genug ging. Zuvor hatte eine Mehrheit im Plenum aus Christdemokraten, Konservativen, Teilen der Liberalen sowie einigen Sozialdemokraten die Position des Parlaments abgeschwächt. Da die notwendigen Stimmen für die Rücküberweisung in den Umweltausschuss am Ende fehlten, ist das Gesetzgebungsverfahren gestoppt. Es wird also bis zu den Europawahlen keine Verordnung mehr zur Reduzierung von Pestiziden geben. Bis auf Weiteres gilt die bisherige Pestizidregulierung der EU weiter. 

 

Abgeordnete aus Südeuropa fürchten die Wut der Landwirte

 

Wenn man nach den Ursachen für den entgleisten Zug fragt, gibt es zwei Antworten. Zum einen trägt die Berichterstatterin des Parlaments, die ehemalige Starköchin und Aktivistin Sarah Wiener, die seit 2019 für die österreichischen Grünen im Parlament sitzt, Verantwortung. Sie hat nicht erkannt, dass die weitgehenden Positionen, für die sie im grün bewegten Umweltausschuss (ENVI) noch Mehrheiten bekommen hat, im Plenum chancenlos waren. Abgeordnete aus Südeuropa wollten nicht mitgehen. Sie fürchteten die Wut der Landwirte, wenn diese binnen weniger Jahre den Einsatz der Pflanzenschutzmittel halbieren sollten. Die Bauernverbände aus vielen Mitgliedstaaten hatten mit Erfolg die Politik mobilisiert. 

 

Die Hauptverantwortung für das Scheitern trägt aber die Kommission. Der Vorschlag trägt die Handschrift des mittlerweile ausgeschiedenen Frans Timmermans, Vize-Präsident der Kommission und zuständig für den Green Deal. Von seinen Leuten stammte der vermessene Vorstoß, in sogenannten Natura-2000-Schutzgebieten gar keinen chemischen Pflanzenschutz mehr zuzulassen. Unter den Natura-2000-Schutzgebieten sind FFH-Gebiete und Vogelschutzgebiete. Was technisch klingt, hat große Bedeutung für die Bauern. Die Natura-2000-Schutzgebiete in Deutschland umfassen gut 15 Prozent der Landesfläche. Sie machen fünf Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche aus. 15 Prozent der deutschen Grünlandfläche und 1,4 Prozent der deutschen Ackerfläche wären von den Verbotsplänen betroffen gewesen. 

 

Kommission plante Eingriff in die Eigentumsrechte 

 

Wohl gemerkt: Auf vielen Äckern und Grünlandflächen in Schutzgebieten, wo heute Winzer ihre Weinberge bestellen, Bauern ihre Obstwiesen betreiben und (selbstverständlich) Pestizide einsetzen, wäre chemischer Pflanzenschutz tabu. Die Kommission wollte den Eingriff in die Eigentumsrechte und die unternehmerische Freiheit. Bis heute ist die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Nutzung in den Natura-2000-Gebieten entsprechend der „guten fachlichen Praxis“ möglich. Wenn die Pläne der Kommission vom EU-Gesetzgeber beschlossen worden wären, wäre genau dies nicht mehr zulässig gewesen. Dann wären Bauern, Winzer und Binnenfischer gezwungen, umzusteigen auf Methoden ohne chemischen Pflanzenschutz. 

 

Der Gesetzgebungsvorschlag der Kommission war ein Frontalangriff auf die Wirtschaftsweise vieler Bauern. Der Berufsstand hat ihn als solchen verstanden und Hebel in Bewegung gesetzt, um die Pläne abzuändern. Dass Grüne, Linke und viele Sozialisten durch kopfloses Abstimmungsverhalten die Verordnungspläne zerstört haben, dürften die Umweltbewegten nun bereuen. Die betroffenen Landwirte können sich entspannen: Die nächste EU-Kommission, die erst Anfang 2025 arbeitsfähig ist, muss einen komplett neuen Anlauf zur Pestizidregulierung nehmen. Hoffentlich tut sie das beim nächsten Mal mit mehr Augenmaß.

 


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