In ihrer Finanzierung inzwischen eine stinknormale Partei

Grüne Doppelmoral: Glyphosat-Befürworter und Tempolimit-Gegner sind als Sponsoren sehr willkommen

Foto: Thorben Wengert/pixelio.de
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Von Hugo Müller-Vogg

 

Die Grünen wissen, was sich gehört. So dankt die Partei auf ihrem Parteitag, der Bundesdelegiertenkonferenz an diesem Wochenende in den Karlsruher Messehallen, für jedermann sichtbar „allen Sponsoren und Ausstellern“. Dass Firmen und Verbände Parteitage nutzen, um öffentlich auf sich und ihre Anliegen aufmerksam zu machen, ist gängige Praxis: bei CDU, SPD, CSU, FDP wie bei der Ökopartei. Schließlich kommt so Geld in die stets nicht allzu gut gefüllten Parteikassen. Die Sponsoren tun das nicht uneigennützig. Sie wissen, dass es auf Parteitagen von politischen Entscheidungsträgern nur so wimmelt. Und Kontakte zu Politikern können nie schaden.

 

Wenn die Agentur für Erneuerbare Energien e.V., deren Zweck die Überzeugungsarbeit für die Energiewende ist, die Grünen sponsert, ist das nicht überraschend. Ebenso wenig, dass „solid UNIT – Das Netzwerk für den innovativen Massivbau“ dabei ist. Sein Anliegen: Bauen mit möglichst geringem ökologischem Fußabdruck. Bei anderen Sponsoren, deren Positionen von den Grünen nicht gebilligt oder gar bekämpft werden, muss man sich dagegen schon wundern. Da fällt einem schnell ein Spruch der alten Römer ein: „Geld stinkt nicht.“

 

Man fragt sich schon, warum die Grünen sich vom Chemie- und Pharma-Konzern Bayer unterstützen lassen, ebenso vom Bauernverband. Schließlich haben sich beide dafür starkgemacht, dass Glyphosat weitere zehn Jahre in der Landwirtschaft eingesetzt werden darf. Genau das hatten die Grünen in Europa verhindern wollen. Doch die Glyphosat-Lobby konnte im Europäischen Parlament eine Mehrheit davon überzeugen, wie nützlich der umstrittene Unkrautvernichter doch sei.

 

Werbung für das, was die Grünen sonst strikt ablehnen

 

Den Verband der Automobilindustrie (VDA) würde man auf einem Grünen-Treffen ebenfalls nicht vermuten. Der VDA steht für vieles, was die Grünen strikt ablehnen: dass „Verbrenner“ noch nach 2025 zugelassen werden, dass der individuelle Pkw-Verkehr nicht behindert werden, dass es auf Autobahnen kein Tempo 100 geben darf. Zu einem Grünen-Parteitag passt die Wirtschaftliche Vereinigung Zucker (WVZ) ebenfalls nicht. Die kämpft beispielsweise gegen Einschränkungen bei der Werbung für zuckerhaltige Produkte. Genau das will der grüne Minister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir, durchsetzen. Laut WVZ fehlt Werbeverboten dagegen „jede wissenschaftliche Grundlage“. Nicht unbedingt unter den Finanziers der Grünen würde man den Versandhändler Amazon oder den Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) vermuten. 

 

Schließlich sind die einen für angeblich schlechte Arbeitsbedingungen und ihre gewerkschaftsfeindliche Firmenpolitik bekannt. Und die anderen sorgen aus Sicht grüner Gesundheitspolitiker dafür, dass die „Reichen“ im Krankheitsfall besser versorgt werden als der AOK-Patient. Selbst die Lufthansa durfte in Karlsruhe auf einem Sponsoren-Platz landen. Dabei bietet die in Augen der Grünen so verabscheuungswürdige Dinge wie Inlandsflüge an. Außerdem sollte aus Sicht grüner Aktivisten am besten niemand mehr fliegen – von Grünen-Ministern und eigenen Erholungsreisen zu fernöstlichen Stränden einmal abgesehen. 

 

Man kann also sagen: Selbst Kritiker und Gegner grüner Politik dürfen bei Veranstaltungen der Grünen dabei sein – sofern die Kasse stimmt. Denn die Partei wirbt, wie es auf ihrer Homepage heißt, „aktiv darum, Unternehmen, Verbände, Vereine und Initiativen zu überzeugen, sich am Rande unserer Parteitage oder anderen Veranstaltungen zu präsentieren“. Allerdings machen die Grünen öffentlich, wer sie sponsert und mit welchen Beträgen. Das haben CDU und FDP bisher vermieden. Inzwischen ist gesetzlich geregelt, dass Sponsoring-Einnahmen ebenso wie Parteispenden von 2025 an veröffentlicht werden müssen. 

 

Solange es kein Verbot gibt, sind die Grünen nicht zimperlich

 

Eigentlich würden die Grünen Zuwendungen von Unternehmen und Verbänden am liebsten ganz verbieten. So hat es ein Grünen-Parteitag schon 2011 beschlossen. Eigentlich! Solange es jedoch kein Verbot gibt, sind die Grünen nicht zimperlich. Man wolle sich „im politischen Wettbewerb (…) nicht schlechter stellen als die politische Konkurrenz“, begründete das der bisherige Grünen-Schatzmeister Marc Urbatsch.

 

Dass ausgerechnet in Karlsruhe, dem Ort ihres Gründungsparteitags vor 43 Jahren, die Grünen sich vom „Großkapital“ mitfinanzieren lassen, das hätten die Ökos von damals nicht zu ahnen gewagt. Aber wie formulierte es Robert Habeck? „Unsere Ideologie heißt Wirklichkeit.“ Auch in Karlsruhe zeigt sich, dass die Grünen längst zu einer „stinknormalen“ Partei geworden sind, wie das ein ihnen nicht gut gesonnener hessischer SPD-Politiker formulierte. Daran ändert gelegentliches, idealistisches Aufbegehren vor allem jüngerer Parteimitglieder nichts.

 

In der real existierenden grünen Wirklichkeit trifft eben zu, was der Schriftsteller Curt Goetz so formulierte: „Die meisten Menschen habe zwei Arten von Moral: Die eine für sich, die andere für die anderen.“

 


Unser Gastautor:

Dr. Hugo Müller-Vogg, ehemaliger F.A.Z.-Herausgeber, zählt zu den erfahrenen Beobachtern des Berliner Politikbetriebs. Als Publizist und Autor zahlreicher Bücher analysiert und kommentiert er Politik und Gesellschaft. www.hugo-mueller-vogg.de und www.facebook.com/mueller-vogg

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