Neue Töne in einer alten Debatte

Es mehren sich gerade in der Wissenschaft die Stimmen, die vor der Forderung nach einer rein veganen Welt warnen

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Von Wolfgang Kleideiter

 

Für den forsa-Ernährungsreport 2023 wurden Menschen gefragt, warum sie schon einmal vegetarische oder vegane Alternativen zu tierischen Produkten gekauft haben. 73 Prozent sagten, dies sei „aus Neugier“ geschehen. 63 Prozent gaben an, die Produkte seien „gut für das Klima beziehungsweise die Umwelt“.

 

Gut fürs Klima? Zwar ist dies richtig, wenn man ausschließlich den CO2-Fußabdruck, der bei der Produktion des Lebensmittels entsteht, berücksichtigt. Doch gut für die Umwelt ist der pflanzliche Fleischersatz oft nicht. Schon vor Jahren stellte WWF Deutschland in einer Studie fest, dass die pflanzlichen Lebensmittel oft dort angebaut werden, wo mit hohem Aufwand künstlich bewässert werden muss. Fleisch und andere tierische Produkte würden wiederum überwiegend in Regionen erzeugt, in denen viel Wasser vorhanden ist. Vegetarier verbrauchten dadurch pro Jahr im Schnitt mit 39,4 Kubikmetern deutlich mehr Wasser als Personen, die Fleisch essen.

 

Dr. Malte Rubach, Ernährungswissenschaftler, Referent und Buchautor („88 Ernährungsmythen“), spricht bei der Umweltbilanzierung tierischer und pflanzlicher Lebensmittel von einem „Patt“. In einem Gastkommentar für „top agrar“ nennt er Zahlen. Berücksichtige man Treibhausgase, Frischwasserverbrauch, Habitat-Störungen und Nährstoffeinträge, trügen tierische Lebensmittel zu 47 Prozent und pflanzliche Lebensmittel zu 43 Prozent zur Umweltwirkung bei. Ein Unterschied, der so gar nicht zur Einseitigkeit mancher Debatten passt. In puncto Ökoeffizienz, so Rubach, sei Deutschland zum Beispiel der viertbeste Standort für die Erzeugung von Schweinefleisch. Unterm Strich stehe die hiesige Nutztierhaltung bereits gut da.

 

Dass Nutztierhaltung Hauptverursacher der Erderwärmung sein soll, wie die Welternährungsorganisation FAO im Jahr 2006 behauptete, ist längst als Falschangabe entlarvt. Auch der Weltklimarat IPCC hat inzwischen akzeptiert, dass die Rolle der Wiederkäuer mindestens „um den Faktor 3 bis 4 überschätzt“ wurde, weiß Prof. Dr. Wilhelm Windisch, Agrarwissenschaftler von der Technischen Universität München (TUM). 

 

Effekt von Methan überschätzt

 

Windisch weist schon lange darauf hin, dass das Methan, das Kühe rülpsen und pupsen, nur rund zwölf Jahre in der Atmosphäre bleibt, bevor es zerfällt. Und es macht zudem nur vier Prozent des Treibhausgasausstoßes aus. „Würde man alle Wiederkäuer abschaffen, wäre dieser Effekt durch den CO2-Ausstoß des Verkehrssektors nach wenigen Jahren dahin“, betont Windisch.

 

In der Frankfurter Allgemeinen wurde in diesen Tagen ganz grundsätzlich darüber berichtet, warum Fleisch nicht per se ein „Klimakiller“ ist und laut Welternährungsorganisation zur Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung gebraucht wird. Die FAO weist damit klar darauf hin, dass die Utopie des Veganismus nicht funktionieren kann. Nutztiere werden gebraucht. Und deren Wert erhöht sich, je mehr Trockenmasse sie aufnehmen, die für Menschen ungenießbar ist. Stichwort: Nahrungskonkurrenz.

 

In verschiedenen Studien haben Wissenschaftler hochgerechnet, welchen Effekt der völlige Verzicht des Fleischkonsums auf das Klima haben würde. Eine dieser Studien entstand in Zusammenarbeit von Forschern der Stanford University sowie der University of California in Berkeley und wurde Anfang 2022 im Fachmagazin „PLOS Climate“ veröffentlicht. Die Wissenschaftler kamen zu dem Schluss, dass die Treibhausgase sich zumindest für die nächsten 30 Jahre lang stabilisieren und rund 68 Prozent der momentanen Kohlenstoffdioxid-Emissionen bis zum Ende dieses Jahrhunderts ausgeglichen sein könnten. 

 

Eine sehr einseitige Betrachtung. Malte Rubach nennt die Kehrseiten einer solchen Entwicklung: wachsende Importe etwa für Hülsenfrüchte oder Nüsse. Als Negativ-Beispiel gilt die Mandelproduktion in Kalifornien, wo pro Kilo Ernte mehr als 2000 Liter zusätzlich für die Bewässerung benötigt werden.

 

Rubach weist darauf hin, dass laut EDGAR-FOOD Database, einer weltweiten Datenbank, das deutsche Lebensmittelsystem seit 1990 bei den Treibhausgas-Emissionen 25 Prozent Einsparungen erreicht habe – „gegen den steigenden weltweiten Trend“. Für ihn ist die Debatte viel zu stark auf das Fleisch fokussiert. Selbst Prof. Dr. Bernhard Watzl, Kopf des Wissenschaftlichen Präsidiums der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE), hält zwar eine Reduzierung des Fleischkonsums für wünschenswert, der Verzehr tierischer Lebensmittel bietet aus seiner Sicht aber gleichwohl Vorteile. Er spricht dabei auch von Esskultur, Geschmacksvielfalt und Genusswert. 

 


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