Ein folgenreicher Richterspruch, das Tierwohl-Dilemma und Özdemirs Bio-Pläne

Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche

 

Liebe Leserinnen und Leser,

 

die Wirkung dessen, was das Bundesverfassungsgericht der Ampel-Koalition in dieser Woche beschert hat, wird auch an uns nicht spurlos vorübergehen. Das gesamte Regierungshandeln hängt nun einmal vom Geld ab. Durch die jetzt ausgebliebene Verschiebung von 60 Milliarden Euro vom nicht ausgeschöpften Corona-„Sondervermögen“ in den „Klima- und Transformationsfonds“ (KTF) wird Sekunden vor Schluss der Haushaltsberatung der geplante Etat ausgehebelt. Die Koalitionsregierung und ihre Fraktionen versuchen, Haltung zu bewahren und die Tagesordnungen im Haushaltsausschuss so abzuarbeiten, wie sie in den Sitzungsunterlagen stehen – als sei nichts gewesen. Gleichwohl hat der Finanzminister erst einmal eine Sperre für den KTF verhängt. Das heißt konkret: Rotstift für alles, was sich insbesondere die Grünen für Klima und Transformation ausgedacht hatten. Habeck wird da wohl noch mit kräftigen Schlägen zurückrudern müssen. Die Koalition meldet: Der Etat steht; er muss nur noch durch den Bundestag. Da kann man nur spekulieren, wie dann im nächsten Jahr die Finanzwirklichkeit aussieht. 

 

Jost Springensguth
Jost Springensguth

Die Unionsfraktion hat sofort beschlossen, in den Schlussberatungen über den Etat auf eigene Anträge zu verzichten, und fordert erst einmal ein neues „geordnetes Haushaltsverfahren“. Das hieße, mit der Finanzplanung für 2024 alles auf null und die ehrgeizigen Klimaprojekte wieder infrage zu stellen. Auf Regierungsseite war diesbezüglich in dieser Woche erst einmal keine Bereitschaft zu erkennen.

 

So viel erst einmal zu den aktuellen Reaktionen auf den Richterspruch, der wohl noch lange die politische Welt in Deutschland bewegen wird.

 

Folgen und Dimensionen nicht absehbar

 

Die kurz- und langfristigen Folgen des Karlsruher Urteils sind auch für erfahrene Bundestagsabgeordnete in ihren dramatischen Dimensionen noch nicht voll absehbar. Bei der genannten Größenordnung handelt es sich grob gerechnet um mehr als ein Achtel des Gesamthaushalts für 2024. Im Übrigen sei hier nur daran erinnert, dass es sich bei dem „Vermögen“ um Schulden handelt, die außerhalb des regulären Haushalts aufgenommen werden. Die Regierung würde die verfassungsrechtlich abgesicherte Schuldenbremse reißen, wenn sie das Vorhaben „Klima- und Transformationsgesetz“ mit den entsprechenden Ausgaben in die normale Etatplanung aufnehmen würde. 

 

Das Ende der Schattenhaushaltswirtschaft?

 

So wird die „Schattenhaushaltswirtschaft“ auch in ihren anderen Fällen verfassungsrechtlich wohl noch auf den Prüfstand gestellt werden. Oppositionschef Friedrich Merz hat schon angekündigt, das weitere „Sondervermögen“ zur Finanzierung der Gas- und Strompreisbremse ebenfalls verfassungsrechtlich zu prüfen. Der „Wirtschaftsstabilisierungsfonds“ (WSF) wurde 2020 ermächtigt, für das „Maßnahmenpaket infolge der Energiekrise auf dem Kapitalmarkt 200 Milliarden aufzunehmen“. Auch das ist ein riesiger Schuldenberg abseits der geordneten Haushaltsführung.  

 

Das Thema geht generell wohl auch nicht an den Ländern und damit der CDU in der Regierungsverantwortung vorbei. Die in den genannten Dimensionen vergleichsweise geringen 300 Millionen „Sondervermögen zur Bewältigung der Krisensituation in Folge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine“ in Nordrhein-Westfalen werden nun wohl auch auf den Prüfstand gestellt. Dann wären dort die Landesverfassungsrichter an der Reihe. Nicht ausgeschlossen, dass der Weg dorthin der oppositionellen SPD in den Sinn kommt. 

 

Der „Spiegel“ reagierte so: „War da was? Nach der fulminanten Niederlage vor dem Verfassungsgericht bemüht sich Olaf Scholz im Bundestag, die Krise wegzulächeln. Doch seine Koalition steht vor schweren Stunden“. Sie begannen damit, dass Finanzminister Lindner nicht nur die erste Haushaltssperre verhängen musste, sondern sich mit seiner FDP von einem Wunschvorhaben zu verabschieden hatte. Er wollte eigentlich die Gastronomie und ihre Kunden vor der Rücknahme der Steuerermäßigung für Speisen verschonen. Daraus wird nun nichts. Das Wiener Schnitzel zum Beispiel wird wohl in den gehobeneren Restaurants die 30-Euro-Grenze reißen. Und die Curry-Wurst wird auch teurer.

 

Gerne Tierwohl, aber bitte zum Nulltarif …

 

Das Fleisch dazu sollte nach breitem Wunsch übrigens von Tieren (in diesem Fall Kälbern) aus der Haltung mit artgerechten Lebensbedingungen kommen. Das war das Thema, für das 2019 die damalige Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner die sogenannte Borchert-Kommission eingesetzt hat. Sie ist krachend gescheitert – nicht an ihrem Vorsitzenden und Namensgeber Jochen Borchert, sondern an der mangelnden Bereitschaft der Ampel-Regierung mit ihrem grünen Landwirtschaftsminister Özdemir, das zu finanzieren, was aus dieser Arbeit an Ergebnissen auf dem Tisch liegt. Borchert selbst hat sich dazu Anfang der Woche ausführlich in der FAZ geäußert

 

Stallbauten für artgerechte Haltung seien im Bau teurer, wenn mehr Fläche pro Tier, Frischluftzufuhr und Auslauf vorgesehen werden. Wer dementsprechend einen neuen Stall baue, benötige verlässliche Zusagen, um die Mehrkosten finanzieren zu können. Beim Thema Finanzierung verweist er insbesondere auf die Partei des Finanzministers, die sich dazu verweigert. Das Interview erschien übrigens vor dem Haushaltsdesaster in Berlin. Jetzt geht demnach wohl gar nichts mehr …

 

Bundesminister a.D. Jochen Borchert (Foto: Stiftung natur+mensch)
Bundesminister a.D. Jochen Borchert (Foto: Stiftung natur+mensch)

Viele verlangen mehr Tierwohl, nur wenige wollen das bezahlen. Das gilt nicht nur für den Staat, sondern auch für die Verbraucher. Borchert, auch mit seiner Kompetenz und Erfahrung als früherer Landwirtschaftsminister, Präsident des Jagdverbandes und auch Vorsitzender unserer Stiftung natur+mensch, in dem Interview: „Entweder zahlt der Verbraucher über die höhere Mehrwertsteuer die Mehrkosten. Oder wir erheben eine Tierwohl-Abgabe. Beides ist möglich, dazu gibt es Machbarkeitsstudien. Aber die FDP sagt: Keine neuen Steuern. Der politische Wille, die politische Bereitschaft fehlt. Und bei den Verbrauchern fehlt der Wille, die Mehrkosten direkt zu finanzieren.“ In dem Artikel wird der Marketingforscher Professor Achim Spiller zitiert. Er spricht von einer „Bürger-Konsumenten-Lücke“: 80 Prozent der Verbraucher möchten, dass Tierwohl-Anforderungen umgesetzt werden, beim Einkauf aber entscheiden sich nur 20 Prozent für Produkte aus diesen teureren Haltungsformen.

 

„Bei den Verbrauchern fehlt der Wille, die Mehrkosten direkt zu finanzieren.“

Jochen Borchert

 

Dass dazu Regionalvermarkter in die Krise kommen, unterstreicht ein Beitrag des Bayerischen Rundfunks: „Lieber billig als nah“. Da berichten Produzenten und Regionalvermarkter darüber, wie in diesem Segment die Umsätze eingebrochen und die Kosten dramatisch gestiegen sind.

 

Der Anteil der Bio-Landwirtschaft soll steigen

 

Unser Agrar- und Ernährungsminister lässt sich nicht davon abhalten, im Markt für Bio-Produkte Wachstumspotenzial zu sehen. Ziel der Ampelkoalition ist es, den Anteil der Bio-Landwirtschaft bis 2030 auf 30 Prozent der gesamten Agrarflächen auszuweiten. Bisher sind das gut elf Prozent. Cem Özdemir sieht in Bio mit 15,3 Milliarden Euro Umsatz ein funktionierendes Geschäftsmodell. Hier gibt es trotz aller aktuellen Finanznot öffentliche Hilfe und Werbemaßnahmen. In der Mitteilung des Ministeriums wird das Marketing perfekt aufgearbeitet: „Mit unserer Bio-Strategie 2030 setzen wir jetzt die entscheidenden Impulse für mehr Bio vom Acker bis auf den Teller. Und wir unterstützen die ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft dabei, sich durch gezielte Forschung weiter zu verbessern und Erträge zu steigern. Wir haben ein gemeinsames Ziel, jetzt haben wir einen Fahrplan, wie wir das Ziel zur Realität machen können. Mit 30 Maßnahmen für 30 Prozent Bio in 2030.“  Auf 64 Seiten ist das alles genau zu lesen.

 

Und bei Cannabis hakt es in Berlin

 

Da mag es wenigstens die Kritiker der Bundesregierung trösten, dass ein weiteres Projekt erst einmal stecken bleibt. Gestern wurde gemeldet, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bestätigen musste, dass die auf seine Initiative von der Ampel auf den Weg gebrachte Cannabis-Legalisierung nun doch nicht zum Jahreswechsel in Kraft treten kann. Im Bundestag hat es eine Expertenanhörung gegeben, bei der unter anderem Polizeigewerkschafter und Deutscher Richterbund noch einmal davor gewarnt haben. Das Gesetz ist also weiter umstritten und wartet nun Anfang Februar auf die Zustimmung der Länderkammer.

 

Ich glaube, dass die Ruhe des Wochenendes Zeit und Muße gibt, selbst zu bewerten, was in unserem Lande wichtig ist. In diesem Sinne verbleibe ich für heute

Ihr Jost Springensguth

für die Redaktion natur+mensch

 

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