SPD, Grüne und FDP präsentieren sich als die Drei von der Zankstelle

Von der „Fortschrittskoalition“ hatten viele Bürger Aufbruch und Aufschwung erwartet. Stattdessen wurden sie Zeugen ständiger Streitereien

Foto: Rainer Sturm / pixelio.de
Foto: Rainer Sturm / pixelio.de

 

Von Hugo Müller-Vogg

 

Wenn der Bundeskanzler sich zur Lage der Nation äußert, dann verzichtet er nie auf zwei Kernaussagen. Sie lauten: Erstens geht es dem Land gut. Und  zweitens: Wo es nicht zum Besten steht, ist Besserung in Sicht. Wenn einer von sich und seiner Ampel-Regierung überzeugt ist, dann der Sozialdemokrat Olaf Scholz.

 

Diese Selbsteinschätzung steht im scharfen Kontrast zu dem, was die Bürger von der Leistung der drei Parteien denken, denen sie vor zwei Jahren zur Mehrheit verholfen haben. Wie die Meinungsforscher von Allensbach herausgefunden haben, traut die überwältigende Mehrheit der Koalition zurzeit nicht zu, dass sie in den kommenden zwei Jahren das Land voranbringt – eine erschreckende Halbzeitbilanz.

 

Was für ein Unterschied zum September 2021. Damals hatten bei der Bundestagswahl SPD, Grüne und FDP zusammen 52 Prozent erzielt. Wenn jetzt gewählt würde, käme Rot-Grün-Gelb noch auf 37 bis 39 Prozent. Was für die Koalition noch schlimmer ist: Die Koalition ist vor zwei Jahren mit größeren Erwartungen und Hoffnungen begrüßt worden als ihre Vorgängerregierungen. Diesen Vertrauensvorschuss hat sie völlig verspielt. Oder um es mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zu sagen: „Wir versauen es uns permanent selbst“.

 

Nun muss man Scholz, Habeck und Finanzminister Christian Lindner (FDP) zugestehen, dass sie einen äußerst schwierigen Start hatten. Corona war noch nicht überwunden und 82 Tage nach Amtsantritt läutete Kremlzar Putin mit seinem Überfall auf die Ukraine eine Zeitenwende ein. Statt der von der Ampel versprochenen Kombination von Klimaschutz und Wachstum sowie umfangreicher gesellschaftspolitischer Reformen ging es plötzlich um Waffen für die Ukraine und die Sicherung der bisher einseitig auf russischem Gas und Öl basierenden Energieversorgung.

 

In der Krise dominierte kurz der Pragmatismus

 

Ausgerechnet das Krisenjahr 2022 wurde zum bisher erfolgreichsten der Ampel. Die Bundeswehr wurde gestärkt und die Energieversorgung gesichert. Entgegen allen Befürchtungen musste im Winter 2022/2023 niemand frieren. Dabei sprangen linke Sozialdemokraten wie pazifistische Grüne über den eigenen Schatten. 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr und den Import von Flüssiggas hätte von der Ampel niemand erwartet. Unter dem Druck der Ereignisse siegte zeitweilig der Zwang des Faktischen über ideologische Glaubenssätze.

 

Die hohe Zustimmung, die die Ampel damals genoss, hatte sie sich auch etwas kosten lassen. Die Erhöhung des Mindestlohns, ein höheres Kindergeld, die Gas- und Strompreisbremse oder das 9-Euro-Ticket, das inzwischen 49 Euro kostet, ließen sich gut verkaufen. Dass dies alles mit einer enormen Ausweitung der Staatsverschuldung verbunden war, interessiert die meisten Wähler nicht.

 

Unter dem Druck der Ereignisse musste diese ungewöhnliche Koalition aus zwei linken und einer bürgerlichen Partei sich zusammenraufen. So drängten ausgerechnet die Grünen zusammen mit der FDP den zögerlichen Kanzler und seine Sozialdemokraten zur Lieferung von Waffen an die Ukraine. Scholz wiederum bewies ausnahmsweise einmal Führungsstärke, als der den Grünen die Verlängerung der letzten Atomkraftwerke um ein paar Monate abtrotzte. Die nur ideologisch zu begründende Fahrlässigkeit, sie im April 2023 endgültig abzuschalten, macht Scholz aber mit.

 

Ideologiegetriebene Energiepolitik

 

Bei allem kurzzeitigen Pragmatismus in der Energiepolitik wie dem Hochfahren der Kohlekraftwerke zeichnet sich diese durch unverantwortliche, ideologiegetriebene Inkonsequenz aus. Seit dem Abschalten der letzten Kernkraftwerke ist aus dem Stromexporteur Deutschland ein Stromimporteur geworden. Dabei gilt die paradoxe Einstellung, Kernkraft aus deutschen Meilern sei von Übel, solche aus Frankreich hingegen nicht. Ebenso verteidigen Rot und Grün in der Ampel ihren Glaubenssatz, Flüssiggas aus deutscher Produktion wäre umweltpolitisch nicht zu verantworten, über tausende von Meilen herbeigeschafftes LNG hingegen notwendig. Hier karikiert eine Regierung sich selbst.

 

Dass in Berlin zusammen regiert, was eigentlich nicht zusammengehört, wurde in diesem Jahr überdeutlich. Das monatelange Gezerre um das Heizungsgesetz offenbarte, dass die Fortschrittsseligkeit aus den ersten Wochen der Ampel ebenso inszeniert wie naiv war. FDP-Chef Lindner hatte vor der Wahl versucht, bürgerlichen Wählern die Angst vor einer Ampel mit dem Hinweis zu nehmen, die Wahlprogramme von FDP, SPD und Grünen stimmten nur in einem Punkt überein: bei der Freigabe von Cannabis. Was eher scherzhaft gemeint war, wurde Realität.

 

So ist es kein Wunder, dass heftiger interner Streit in der Ampel zum „business as usual“ gehört. Bei Waffenlieferungen standen FDP und Grüne gegen die SPD, beim Bürgergeld und der Grundsicherung für Kinder die FDP gegen Rot-Grün, beim Heizungsgesetz die FDP gegen die Grünen mit einer schwankenden SPD als zunächst ratlosem Zuschauer, bei den Flüchtlingen die FDP gegen Grüne und SPD. Vom Wahlergebnis euphorisiert, wollten Freie Demokraten und Grüne einst „Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes“ ausloten“. Aus den bejubelten „spannenden Zeiten“ wurde eine Zeit ständiger Spannungen.

 

Scholz im Stil von Hansi Flick

 

Dies alles wurde dadurch verschärft, dass der Kanzler zwar permanent im Stil des erfolglosen Hansi Flick sich selbst lobt, aber kaum Akzente setzt. Von der Richtlinienkompetenz des Regierungschefs war mit Ausnahme der eher symbolischen Verlängerung der AKW-Laufzeit nichts zu spüren. Von jenem Olaf Scholz, der angeblich auf Bestellung Führung liefert, ist nichts zu sehen. Der Kanzler folgt eher dem Talleyrand-Prinzip: „Da geht mein Volk. Ich muss ihm nach. Ich bin sein Führer!“

 

Die Bertelsmann-Stiftung, für besonders kritische Bewertung linker und grüner Projekte nicht gerade berühmt, hat der Ampel jetzt ein gutes Zwischenzeugnis ausgestellt. Von den 435 Versprechen des Koalitionsvertrags seien 174 Versprechen (38 Prozent) bereits voll oder teilweise umgesetzt worden. Damit stehe die Ampel besser da als die Große Koalition. Solche Zahlenspielereien dürften außerhalb der Berliner Politikblase jedoch niemanden interessieren.

 

Die Menschen nehmen die Lage anders wahr: Die Wirtschaft schmiert ab, Unternehmen gehen ins Ausland oder denken ernsthaft übers Auswandern nach, die Infrastruktur zerbröselt, die Inflation bleibt hoch, die Digitalisierung kommt kaum voran, die illegale Zuwanderung hält unvermindert an. Selbst die Klimapolitik, ein zentrales Thema der selbsternannten Fortschrittskoalition, geriet – Stichwort Heizungsgesetz – zum Desaster.

 

Dies alles ist nicht allein der Ampel anzulasten. Vieles davon beruht auf den Versäumnissen der vergangenen Jahrzehnte. Zur ehrlichen Bestandsaufnahme gehört aber auch, dass in den 25 Jahren seit 1998 die SPD nur vier Jahre (2009 – 2013) nicht an der Bundesregierung beteiligt war. Dies völlig auszublenden zählt zweifellos zu den kommunikativen Glanzleistungen des ansonsten nicht gerade als großer Kommunikator hervortretenden Kanzlers.

 

Deutschland als kranker Mann Europas

 

Unabhängig davon, wie stark die gegenwärtige Lage dem Erbe Merkels und der Großen Koalition anzulasten ist, unabhängig vom Krieg in der Ukraine und seinen Folgen: Deutschland ist wieder der kranke Mann in Europa. Während andere Volkswirtschaften wachsen, schrumpft die deutsche, während in vielen anderen Ländern die Inflationsrate deutlich zurückgeht, verharrt sie bei uns auf hohem Niveau.

 

Hinzu kommt der ungesteuerte und unkontrollierte Zustrom an Menschen aus aller Welt, die keineswegs alle aus politischen oder anderen Gründen in ihren Heimatländern verfolgt werden. Sehr viele streben – aus verständlichen Gründen – nach einem besseren Leben. Und da bietet die Bundesrepublik mit ihrem umfassenden Sozialsystem bessere Perspektiven als die anderen europäischen Länder.

 

Der gegenwärtige Zustrom an Migranten erschüttert die Gesellschaft stärker als die Flüchtlingswelle von 2015/2016. Damals glaubten viele noch an das Merkelsche Mantra „Wir schaffen das“. Heute wissen die Menschen, dass wir es damals nicht so recht geschafft haben, was die Integration der Migranten betrifft. Und sie erleben es in ihren Gemeinden, dass die Aufnahmekapazitäten bei weitem nicht mehr ausreichen. 

 

Hilflos in der Flüchtlingskrise

 

Der entscheidende Unterschied zu 2015: Merkels suggerierte damals, das alles lasse sich lösen. Heute räumt selbst die Regierung ein, dass es so nicht weitergehen kann, findet aber keine einheitliche Linie. Eine irrlichternde Innenministerin Nancy Faeser (SPD), die beispielsweise plötzlich Kontrollen an der Grenze zu Polen befürwortet, obwohl sie diese monatelang abgelehnt hatte, stärkt nicht das Vertrauen in die Regierung. Wenn dann noch FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai die Grünen in der Migrationspolitik zum „Sicherheitsrisiko für unser Land“ erklärt, zeigt das die Zerrissenheit der selbst erklärten Fortschrittskoalition in dieser zentralen Frage.

 

Wenn die Ampel Fortschritte vorzuweisen hat, dann in der Gesellschaftspolitik, dem „Glutkern“ der Koalition, wie Habeck es formulierte. Für eine „Modernisierung“ der Gesellschaft brennen Grüne und Gelbe gleichermaßen - und die Roten ebenso. Bei der Abschaffung des Paragrafen 219a des Strafgesetzbuchs, dem Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche als Vorstufe zur Streichung des Paragrafen 218, war man sich schnell einig.  Eine großzügige Einbürgerungspolitik zählt ebenso zum „Glutkern“ wie der leichte Zugang zur doppelten Staatsbürgerschaft für alle, die sich partout nicht uneingeschränkt zu Deutschland bekennen wollen. 

 

Gesellschaftspolitik als kleinster gemeinsamer Nenner

 

In der Ampel ist man sich zudem einig, neben der traditionellen Ehe eine „Ehe light“ einzuführen, die neue „Verantwortungsgemeinschaft“. Zu der sollen sich mehrere Erwachsene zusammenschließen können – mit ähnlichen Rechten wie Eheleute. Die sexuelle Selbstbestimmung soll so aussehen, dass jeder 14-Jährige auf dem Standesamt sein Geschlecht ändern und auch die Änderung wieder verändern kann. Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung wiederum ist fleißig bemüht, sexuelle Minderheiten nicht nur zu schützen, sondern stärker ins Zentrum der Politik zu rücken. Hier kann man der Ampel gewisse Erfolg nicht absprechen. Nur will das Gros der Menschen sich an diesem „Glutkern“ gar nicht wärmen.

 

Regierende neigen dazu, die eigene Leistung schönzureden; das war schon immer so. Nicht schönreden lässt sich indes ein schlimmer Effekt nach zwei Jahren Ampel: der Höhenflug der in Teilen rechtsextremen AfD. In den neuesten Umfragen der acht wichtigsten Meinungsforschungsinstitute liegt die Höcke-Partei konstant zwei bis drei Prozentpunkt vor der Kanzler-Partei SPD. Das hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben. In noch einem Punkt sind sich die Meinungsforscher einig: Vor allem die Zuwanderung und die Verunsicherung durch das Heizungsgesetz treiben der AfD die Wähler zu. Die Scholzsche These, bis zur Bundestagswahl 2025 werde die AfD wieder auf 10 Prozent zurückgehen, ist nicht mehr als „whishful thinking“

 

Eine Halbzeitbilanz ist wie ein Halbjahreszeugnis in der Schule oder ein Halbzeitergebnis im Sport: Das lässt sich alles noch drehen. Denn entscheidend sind nicht die aktuellen Umfragen; abgerechnet wird bei der Bundestagswahl im Herbst 2025. Hoffnung schöpfen kann die Ampel daraus, dass ihr schlechtes Ansehen mit dem der CDU/CSU-Opposition korreliert. Laut Allensbach meinen nur 25 Prozent, eine andere Regierung könnte die Herausforderungen besser bewältigen als die gegenwärtige. Was aus der Sicht der Regierungen tröstlich sein mag, ist für das Land insgesamt keine gute Perspektive.

 


Unser Gastautor

Dr. Hugo Müller-Vogg, ehemaliger F.A.Z.-Herausgeber, zählt zu den erfahrenen Beobachtern des Berliner Politikbetriebes. Als Publizist und Autor zahlreicher Bücher analysiert und kommentiert er Politik und Gesellschaft. www.hugo-mueller-vogg.de und www.facebook.com/mueller-vogg

 

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