Migration auch für ländlichen Raum eine große Herausforderung – Ampel weiter unter Druck

Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche

 

Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,


schauen auch Sie gelegentlich in die bunten Hochglanz-Magazine, in denen das ländliche Leben als Hort der Beschaulichkeit und des naturnahen Glücks angepriesen wird? Das Bild, das auf diese Weise vermittelt wird, mag schöne Träume beschreiben. Doch die Realität sieht auf dem Dorf und in den kleinen Städten zumeist anders, vielschichtiger aus. Die globalen Probleme der großen Welt entfalten auch dort ihre Wirkung. Ideologische „Weltverbesserer“ sind ebenfalls im ländlichen Raum aktiv, wie gerade die Freunde der Jagd es immer wieder schmerzhaft erleben und dann politisch kämpfen müssen. 

 

Jürgen Wermser
Jürgen Wermser

Erinnert sei in diesem Zusammenhang an den wirkungsvollen Widerstand, den die Jägerschaft vor zehn Jahren in NRW gemeinsam mit anderen Naturnutzergruppen gegen die Neuausrichtung des Landesjagdgesetzes leistete. Der damalige Umweltminister Remmel (Grüne) hatte versucht, über dieses Gesetz den sogenannten „ökologischen Umbau“ des ländlichen Raumes einzuleiten. In diesem Kontext steht seitdem der ständige politische Versuch, das Jagdrecht in weiteren Bundesländern an alternativen ideologischen Zielsetzungen auszurichten. In Rheinland-Pfalz kommen jetzt die Debatten erneut darüber auf, wem die Jagd unterzuordnen ist. Das unterliegt einem anderen Verständnis von Wald-, Tier- oder Naturschutz, als wir es haben. In unserem Politblog greifen wir diese Themen deswegen immer wieder regelmäßig auf und versuchen, sie aktuell und zielgerichtet in die politische Debatte einzubringen. Da brauen sich gerade massive Proteste gegen die Pläne der Landesregierung in Mainz (SPD, Grüne, FDP) auf, das Jagdrecht radikal zu ändern. Im Beamtendeutsch heißt eines der Kernziele: „Jagdrecht als Eigentumsrecht und Stärkung der Jagdrechtsinhabenden (Grundeigentümerinnen und Grundeigentümer)“. Die absehbaren Folgen treiben Pächter auf die Zinnen!

 

Auch an anderer Stelle muss der ländliche Raum aufpassen, dass er von der „großen Politik“ und ihren Konzepten nicht an den Rand gedrängt und letztlich übervorteilt wird. Beispiel Migration. Wenn Menschen aus Nigeria, Afghanistan oder Syrien in Europa Schutz vor Gewalt und Not suchen, dann kommen sie auch zu uns in den ländlichen Raum. Gleiches gilt für Menschen ausländischer Herkunft, die bereits hierzulande ein Aufenthaltsrecht haben. Sie sind zumeist willkommen, ob im dörflichen Sportverein, in der Schule oder auch in Betrieben, die händeringend Arbeitskräfte suchen. Allerdings gibt es, wie auch in großen Städten, Probleme bei einem ungeordneten Zuzug von Menschen, die unser Sozialsystem an die Belastungsgrenze bringen. Man denke etwa an Äußerungen des Landrats aus dem Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt.

 

Die Verwaltung in Deutschland sei überfordert, sagte der CDU-Kommunalpolitiker, der seit 2014 im Amt ist. Seit Jahren ziehe man Personal irgendwo zusammen. Das bleibe nicht ohne Folgen. „Wir rutschen von einer Krise in die nächste.“ Die Mitarbeiter seien an der Belastungsgrenze, und die Ampelregierung schaffe ständig neue Baustellen. Als Beispiel nannte Götz Ulrich, der auch Präsident des Landkreistages Sachsen-Anhalt ist, die mangelnde Unterstützung des Bundes etwa in der Asylpolitik. Allein die Landkreise in Sachsen-Anhalt würden auf 33 Millionen Euro zusätzlicher Kosten sitzen. Die von Bundesinnenministerin Nancy Faeser wiederholt in Aussicht gestellten freien Bundesimmobilien für weitere Unterkünfte gebe es hier nicht. Auch sei kein Personal von Bund oder Land abgeordnet worden, um immer mehr Menschen betreuen zu können. 

 

Alarmruf aus Sachsen-Anhalt

 

Gewiss, andernorts mag es etwas besser aussehen. Doch die vom Landrat aus Sachsen-Anhalt kritisierten Probleme sind bundesweit politisch unübersehbar. Nur die verantwortlichen Regierungen, egal welcher Couleur, haben darüber in den letzten Jahren und Jahrzehnten mehr oder minder hinweggeschaut. Eine solche Vogel-Strauß-Haltung kann nur gut gehen, wenn sich die Zahl der Ankömmlinge dauerhaft in einem sozial und finanziell leicht integrierbarem Rahmen hält. Spätestens seit der großen Migrationswelle Mitte der 2010er Jahre ist dies vorbei. Umso wichtiger, dass das Thema endlich politisch seriös diskutiert und dann auch gelöst wird. 

 

Ein bemerkenswerter Vorschlag kommt in diesem Zusammenhang vom CDU-Politiker Jens Spahn, Mitglied im Präsidium seiner Partei. Er plädierte jüngst dafür, in Europa 300.000 bis 500.000 Flüchtlinge im Jahr aufzunehmen und zu verteilen. Auswählen sollte die Menschen das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR). Fast gleichzeitig hatte auch der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel eine Wende in der Migrationspolitik gefordert. „Der Versuch, mit einem Individualrecht auf Asyl und der Genfer Flüchtlingskonvention auf das moderne Phänomen von Massenflucht zu reagieren, wird uns nicht zum Erfolg führen“, sagte der ehemalige Vizekanzler dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Unsere Regeln aus dem 20. Jahrhundert passen nicht zu den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.“ Gabriel riet seiner Partei, sich stattdessen den restriktiven Kurs der dänischen Sozialdemokraten in der Migrationspolitik zum Vorbild zu nehmen. 

 

Der Präsident des Landkreistages, Reinhard Sager, nannte Spahns Vorstoß im Kern richtig. „Die Zuwanderung steuern und ordnen kann nur der Bund, die Kapazitäten der Landkreise zur Aufnahme und Integration Schutzsuchender sind mehr als ausgelastet. Wir laufen immer mehr unserem Anspruch hinterher, Geflüchtete angemessen aufnehmen und integrieren zu können“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Die Landkreise bräuchten mehr politischen Rückenwind. Auch der Hauptgeschäftsführer des Deutsche Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, forderte einen Neustart in der Migrationspolitik mit dem Ziel, das Geschehen zu ordnen und zu begrenzen. 

 

Hohe Hürden für eine radikale Kursänderung

 

So weit die nahezu einhellige Meinung von Praktikern aus der Kommunalpolitik. Doch auf Bundesebene kam aus Kreisen der Ampelkoalition prompt eine harte Ablehnung der Ansätze, die Spahn und auch Gabriel nannten. Und in der Tat: Die Hürden für eine solch radikale Kursänderung sind hoch. Denn sie setzt eine Einigung innerhalb der EU voraus. Auch das deutsche Asylrecht müsste grundlegend reformiert werden, was ohne eine Grundgesetzänderung nicht möglich sein dürfte. Das letzte Wort hätte in einem solchen Fall wohl ohnehin das Bundesverfassungsgericht. Doch all diese Herausforderungen sind keine Entschuldigung für Nichtstun. 

 

Es wird höchste Zeit, dass sich die großen demokratischen Parteien gemeinsam Gedanken über den künftigen Weg machen. Konsens statt Konflikt ist hier gefragt, ebenso Pragmatismus und Augenmaß. Denn klar ist in jedem Falle: Die aktuellen Zustände sind indiskutabel. Viel zu viele Menschen sterben auf hochriskanten Flüchtlingstouren über das Mittelmeer. Das hinzunehmen, ist zutiefst inhuman und mit den Werten einer demokratischen Gesellschaft nicht vereinbar. Es müssen andere Wege gefunden werden, um Menschen in Not einen Ausweg zu bieten. Politisch einfach wird dies nicht sein, aber verdrängen und die Probleme dann am Ende auf die Kommunen verlagern, ist auch keine Lösung. 

 

Suche nach passenden Unterkünften

 

Eine große Schwierigkeit besteht momentan darin, den ankommenden Menschen eine passende Unterkunft zu verschaffen. Ein riesiges Problem ist dabei, dass insgesamt weniger gebaut wird und damit der Druck auf dem Wohnungsmarkt zunimmt. Es braue sich ein Sturm zusammen, heißt es aus dem ifo-Institut, das jetzt über einen zunehmenden Auftragsmangel berichtete. So hätten im Juli rund 40 Prozent der Unternehmen entsprechend geklagt. Im Vormonat waren es noch rund gut 34 Prozent gewesen. Auch die Zahl der Auftragsstornierungen sei seit dem Frühjahr 2022 auffällig gestiegen. Aktuell würden 18,9 Prozent der Betriebe von abgesagten Projekte berichten. Im Vormonat seien es 19,2 Prozent gewesen. Im langfristigen Mittel betrug der Anteil nur 3,1 Prozent. Betrachtet man nur die Jahre bis 2021, waren es sogar lediglich 1,5 Prozent. Kurz zuvor hatte bereits das Statistische Bundesamt gemeldet, dass die Zahl der Baugenehmigungen für Wohnungen in den ersten sechs Monaten des Jahres um 27,2 Prozent verglichen mit dem Vorjahr eingebrochen sei. 

 

Ein Grund für diese düstere Entwicklung sind fraglos die höheren Zinsen und die drastisch gestiegenen Baukosten – Entwicklungen, unter denen gerade auch das Bauen von Einfamilienhäusern auf dem Land leidet. Keine Frage, hier muss gegengesteuert werden. Bundesbauministerin Klara Geywitz hat deshalb in einer ersten Reaktion gefordert, die von der Ampel-Regierung eigentlich geplante Erhöhung der Energiestandards für Neubauten auszusetzen. Die SPD-Politikerin will im September ein Hilfspaket für die Krise in der Baubranche vorstellen und kündigte zeitnah Gespräche mit dem Finanz- und Wirtschaftsressort an. Gerade mit letzterem könnten diese durchaus schwierig werden. Denn der grüne Wirtschafts- und Energieminister Robert Habeck hat bislang schon reichlich Abstriche an seinen Klimaschutzprojekten machen müssen. Es könnte sich daher ein neuer Konflikt innerhalb Regierung anbahnen, und zwar entlang der mittlerweile fast üblichen Fronten SPD/FDP einerseits und Grüne andererseits.

 

Schlechte Noten von Experten

 

Keine guten Aussichten für eine Koalition, die zudem in dieser Woche von eigenen Ratgebern wenig Erfreuliches zu hören bekam. So urteilte der Expertenrat für Klimafragen, dass die Maßnahmen der Regierung zwar in die richtige Richtung gingen, aber immer noch nicht ausreichten. Die Koalition habe mit ihren 130 Maßnahmen zwar einen hohen, aber keinen ausreichenden Anspruch formuliert. Es fehle ein zusammenhängendes, in sich schlüssiges Gesamtkonzept. Dem Kanzler und dem Energieminister dürften bei diesen drastischen Worten die Ohren geklungen haben. 

 

So negativ dieses Urteil in Sachen Klimaschutz auch ist, beim Thema Umbau der Nutztierhaltung – erklärtermaßen auch ein wichtiges Anliegen der Regierung – fiel das Zeugnis noch schlechter aus. Die Experten-Kommission unter dem Vorsitz des früheren Agrarministers Jochen Borchert legte gleich ganz ihre Arbeit nieder. Hintergrund ist ein langer Streit um fehlende Finanzmittel, mit denen Schritte hin zu einer besseren Tierhaltung in der Landwirtschaft ermöglicht werden sollen. Die Union sprach daraufhin von einer schallenden Ohrfeige für die Politik des zuständigen Agrarministers Cem Özdemir. Wer wollte da widersprechen? Denn trotz vollmundiger Versprechungen ist es dem grünen Minister nicht gelungen, einen finanziell abgesicherten Weg für investitionswillige Landwirte zu eröffnen. Und die Borchert-Kommission sah offenbar auch keine Anzeichen, dass sich diese Situation in absehbarer Zeit ändern wird. Wen wundert es da, dass das Gremium nicht länger als Feigenblatt für ein gescheitertes Reformvorhaben dienen möchte?

 

Ich wünsche Ihnen eine gute, positive Woche und verbleibe mit den besten Grüßen

Ihr

Jürgen Wermser

Redaktionsleitung/Koordination

 

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