Aufbruchstimmung im ländlichen Raum 

Die voraussichtliche Ansiedlung des Batteriezellen-Herstellers Northvolt versetzt den Raum an der schleswig-holsteinischen Westküste in Goldgräber-Stimmung

Ein Firmengebäude der Northvolt-Unternehmensgruppe. (Foto: Northvolt)
Ein Firmengebäude der Northvolt-Unternehmensgruppe. (Foto: Northvolt)

 

Von Jürgen Muhl

 

Wenn alles so kommt wie geplant, entsteht in einer bislang eher strukturschwachen Region eine völlig neue Infrastruktur. Wo heute Rinder und Schafe weiden, sollen schon ab 2026 Batterien hergestellt und auf weltweite Reisen geschickt werden. Die schwedische Unternehmensgruppe Northvolt will im Landkreis Dithmarschen unweit der Kreisstadt Heide eine milliardenschwere Investition auf über 100 Hektar mitten im Marschland auf festen Beinen installieren. Ausgerechnet die als stur bekannten Dithmarscher, die „das Licht mit dem Hammer ausmachen“, wie der „Spiegel“ vor Jahren schrieb, stehen vor diesem großen Coup.

  

Es handelt sich um eine der größten Industrie-Offensiven Deutschlands. Gleichzusetzen mit der Tesla-Ansiedlung in Grünheide bei Berlin. Gut 3000 neue Arbeitsplätze sollen entstehen, dazu kommen weitere Ansiedlungen von Zuliefer- und Dienstleistungsbetrieben. In der Kieler Staatskanzlei wird mit der endgültigen Zusage aus Schweden „demnächst“, wie im Landeshaus kolportiert wird, gerechnet. Damit auf den letzten Metern nichts mehr schiefläuft, hat die Staatskanzlei von Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) das Handling übernommen. Das Wirtschaftsministerium ist außen vor.

 

Die Ansiedlung von Northvolt ist bundespolitisch über die Parteigrenzen hinweg gewollt. Die Kieler Landesregierung hatte im Vorwege am schnellsten reagiert und ließ Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern nur die Verfolgerrolle. Als dann die USA mit weitaus höheren Subventionen ins Spiel kamen, drohte das Projekt zu scheitern. Doch inzwischen steht fest, dass die Schweden sowohl im Norden von Deutschland als auch in den Vereinigten Staaten investieren wollen.

 

Konkurrenzkampf zwischen Kommunen

 

Schon jetzt ist ein Wettbewerb zwischen der Kreisstadt Heide und den benachbarten Gemeinden entstanden. Konkurrenzkampf im ländlichen Raum. Es geht um Wohnungsbau, um Schulen und Kindergärten, um ärztliche Versorgung und um das Anwerben von Fachkräften. Das schwedische Unternehmen fordert den Ausbau der Bahnverbindung von Hamburg an die Westküste. Northvolk geht davon aus, dass rund 1000 Beschäftigte mit einem Wohnsitz in Nähe der Hansestadt planen und dann pendeln werden. 

 

Investoren haben dies längst erkannt und kaufen Grundstücke auf. Wie auch an der Westküste selbst, wo neue B-Pläne fast täglich aus dem Erdboden gestampft werden. Dort sollen Großansiedlungen von Mehrfamilienhäusern entstehen. Landwirte sehen ihre Stunden kommen und schrauben die Quadratmeterpreise hoch. Wer bei den Windrädern zu spät gekommen ist, sucht jetzt sein Glück beim Landverkauf. 

 

Ansiedlung mit gewaltigen Auswirkungen

 

Die Ansiedlung wird Auswirkungen bis ins Innere des nördlichsten Bundeslandes haben. So haben Experten ausgerechnet, dass von der Abwärme der Produktionsstätte Kommunen bis zu einer Entfernung von 50 Kilometern profitieren können. Auch im Zusammenspiel mit der nur zehn Kilometer entfernt liegenden Öl-Raffinerie in Hemmingstedt sollen Synergien bei der Herstellung von grünem Wasserstoff entstehen. Und überhaupt: Da die Nordsee zum größten Kraftwerk der Welt avancieren soll, mit zehntausenden Windrädern, die Ökostrom erzeugen, passt diese Industrie-Offensive ideal in das international gewollte gigantische Projekt. 

 

Und dennoch gibt es nicht nur Beifall: Eine Reihe von Unternehmern aus der Region, darunter auch zahlreiche Handwerksbetriebe, bangen um ihre Arbeitskräfte. Sie befürchten, Northvolt werde eine Abwerbe-Initiative starten. Die Angst ist berechtigt. Die Schweden sind gerade dabei, in der Kreisstadt Heide einen Willkommens-Store einzurichten.

 


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