Die Ampel und ihre Geburtsfehler

Warum Teile der Regierungsparteien die wahre Ursache der Regierungskrisen sind

Foto: RainerSturm / pixelio.de
Foto: RainerSturm / pixelio.de

 

Von Michael Lehner

 

Neben der auf Großstadt-Probleme verengten Sicht der Dinge begleitet die Ampel-Koalition ein weiterer entscheidender Geburtsfehler: Nennenswerte Teile der beteiligten Parteien wollten eine ganz andere Regierung. Die SPD-Linke träumte gemeinsam mit so manchen Alt-Grünen von Rot-Rot-Grün. In der FDP war die Sehnsucht einflussreicher Kräfte nach einem bürgerlichen Bündnis mit der Union vor der Wahl kaum zu überhören.

 

Was folgte, war Ernüchterung: Die führte zunächst dazu, dass sich die SPD mit Olaf Scholz gerade noch rechtzeitig auf einen Kanzlerkandidaten zusammenraufte, den sie zuvor nicht als Parteivorsitzenden haben wollte. Der linke Flügel hatte begriffen, dass seine FavoritInnen beim Wahlvolk keine Chance haben. Fast synchron – wenn auch schon länger – lief die Personalsuche bei den Grünen mit Annalena Baerbock und Robert Habeck auf Leute zu, die dem Bürgertum vermittelbar erschienen.

 

Endgültig ausgeträumt war die Hoffnung auf einen veritablen Linksruck spätestens nach Schließung der Wahllokale: Die Linkspartei hatte nicht geliefert, scheiterte fast am Verbleib im Bundestag. Zugleich hatten SPD und Grüne Figuren anzubieten, die Freidemokraten nicht gleich einen Schrecken einjagen. Die Koalitionsverhandlungen kamen so recht flott voran. Bei der Postenverteilung landeten linke Galionsfiguren eher in der zweiten Reihe.

 

Sogar der zügig ausgehandelte Koalitionsvertrag vermochte selbst Erzkonservative einigermaßen zu beruhigen. Zumal auch dort bekannt war, dass Maßnahmen gegen den Klimawandel breite Zustimmung im bürgerlichen Lager finden. Ausgewiesene Linke in den hinteren Kabinettsreihen hielten erst mal die Füße still. Und das galt zunächst auch für die Progressiven im Beamtentross, die es schon während der Großen Koalition auf Schlüsselpositionen zumal im von der SPD geführten Umweltministerium gebracht hatten.

 

Über Nacht fast alles anders

 

Dann ließ Putin in die Ukraine einmarschieren. Und über Nacht wurde auch im politischen Berlin (fast) alles anders. Der Kanzler wurde seiner Rolle als Werte-Sozi gerecht und verkündete die Zeitenwende. Sogar der Grüne Anton Hofreiter mutierte zum Militär-Experten. Ganz im Gegensatz zur seinerzeitigen Verteidigungsministerin, die schon bei der Lieferung von Schutzhelmen ins Kriegsgebiet unter Gewissensbissen zu leiden schien, aber als Mutter Courage der Kompromisslos-Pazifisten dann nicht mehr lange zu ertragen war.

 

Seither dreht sich der Wind in der Republik schneller als die Windmühlen. Die Ultrarechten präsentieren sich gemeinsam mit den Altlinken als orientierungslose Friedenstauben. Den meisten Menschen ist jedoch im Eilverfahren klar geworden, dass am Donbass nicht nur die bürgerliche Freiheit auf dem Spiel steht, sondern auch die Umweltpolitik in Generationenverantwortung. Und dass die Freie Welt momentan andere Sorgen hat als das präzise Datum der Klimawende. Auch weil das Steuergeld nicht reicht, um alle noch so berechtigten Wünsche zu erfüllen.

 

Alles, was in den letzten Wochen aus der Regierungsblase durchsickert, lässt erahnen, dass die dann folgenden Kardinalfehler kein Werk der Regierungsmitglieder waren. Weit wahrscheinlicher ist, dass die Entourage – zumal im Hause Habeck – versucht hat, die Ablenkung durch das Kriegsgeschehen für Alleingänge zu nützen. Vor allem für das übereilte Heizungsgesetz. Mit seinem ursprünglich horrenden Subventionsbedarf als Kostenfaktor durchaus zu vergleichen mit dem „Doppel-Wumms“ der Kanzler-Kampfansage gegen Putin.

 

Dass die durch die Realität ohnehin gebeutelten Linken wenigstens auf solchem Felde ihre Stunde kommen sahen, zeigt sich im Detail. Zum Beispiel an der bemerkenswerten Debatte um die Gemeinverträglichkeit von Einfamilienhäusern und die Frage, ob es schlimm sein kann, wenn bei diesen die energetische Sanierung überhaupt nicht finanzierbar sein sollte. Oder das Ringen um die artgerechtere Nutztierhaltung, die reichlich Bauern zum Aufgeben zwingen dürfte. Allerdings mit Windfall-Profiten für die Kohlendioxid-Bilanz.

 

Mit Spottpreisen bei Laune gehalten

 

Die SPD-Vorsitzende sorgte sich in dieser explosiven Stimmung hauptsächlich um die Angst, dass Hausbesitzer die Kosten der Gebäudeertüchtigung auf die (Sozial-)Mieter abwälzen könnten. Wählerinnen und Wähler in den Ballungsgebieten werden mit Bahnfahrten zu Spottpreisen bei Laune gehalten. Der Landwirtschaftsminister setzt darauf, dass das Discounter-Publikum für weniger Fleisch mehr Geld bezahlen wird. Und darauf, dass dieses Geld auch bei den Bauern ankommt.

 

Auf der Strecke bleiben Leistungen, die gerade bei akutem Fachkräftemangel Priorität haben sollten: Kindergrundsicherung, Familienförderung auch für Normalverdiener und Ertüchtigung für das in immer größeren Teilen marode Bildungswesen. Zudem droht die Verlierer-Rolle auch jenen Regionen, die nicht mit horrend wachsenden Problemen auf sich aufmerksam machen. Also dem ländlichen Raum im weiteren Sinne. Auch Sonneberg in Thüringen, das jetzt einen AfD-Landrat hat. Trotz geringer Arbeitslosigkeit und trotz niedriger Mieten. Und obwohl der Braunkohle-Gestank der Wende-Jahre auch in Sonneberg längst verflogen ist.

 

Es wäre zu kurz gedacht, die Gründe für das Wahl-Desaster hauptsächlich vor Ort in Thüringen zu suchen. In Wahrheit liegen die Ursachen vor den Türen der Parteizentralen in der Hauptstadt. Das haben letzthin ja sogar die Berliner den Tagträumern unmissverständlich klar gemacht und dort das linksgrüne Pilot-Projekt zu Fall gebracht. In ihrer großen Mehrheit wollen auch die Großstadt-Menschen keine andere Republik. Und das wird hoffentlich auch die AfD bald wieder spüren.

 


Lesen Sie auch:

Die Union ist zu brav, um die AfD zu bremsen: CDU und CSU fehlt ein Konzept gegen den erstarkenden Rechtspopulismus

Kommentar schreiben

Kommentare: 0

natur+mensch – der Blog ist eine Initiative der Stiftung natur+mensch

Copyright © 2023 Stiftung natur+mensch - Havixbeck - Alle Rechte vorbehalten.