Mindestlöhne, Fachkräftemangel und Unzufriedenheit: Herausforderungen in Landwirtschaft und Politik

Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche

 

Liebe Leserinnen und Leser unseres Politblogs,

 

wir sind bald schon wieder kurz vor dem Ende der Spargelzeit. In den Hofläden, die ich kenne, oder auch auf dem Wochenmarkt liegen die Kilopreise durchgehend bei plus/minus 14 Euro. Dafür wird in der Regel beste Qualität geliefert. Der Begriff „Deutscher“ Spargel ist legendär, stammt aber aus früheren Tagen, als man noch von „guter“ Butter sprach, die inzwischen selbstverständlich dazu gehört. Bei uns in der Grenzregion zu den Niederlanden besuchen viele Menschen die dort etwas anderen Wochenmärkte. Hier kauft man besonders gerne Landestypisches wie Gouda, Matjes als „Hollandse Nieuwe“ und die Händler verstecken sich hinter Bergen von Blumen. Gefühlt scheint alles etwas billiger zu sein – ob das wirklich so ist, steht auf einem anderen Blatt. Und wenn das wirklich so ist, muss es Gründe haben. Jedenfalls der Spargel von dort schmeckt auch sehr gut. Er war in diesem Fall zwei Euro preiswerter. Bei der Frage danach, wo Gründe zu finden sind, fällt mir natürlich erst mal das Thema Mindestlohn ein. Als vor einigen Jahren die Preise für Produkte stiegen, für die ausländische Erntehelfer eingesetzt wurden, war das das nachvollziehbare Argument der Produzenten. Damit lohnt sich immer mal wieder ein Blick auf die weiter unterschiedlichen Rahmenbedingen und Kostenstrukturen bei den Erzeugern in den europäischen Ländern.

 

Jost Springensguth
Jost Springensguth

Bleiben wir bei den gesetzlichen Mindestlöhnen und sehen auf die entsprechende aktuelle europäische Tabelle.  Sie verrät, dass es bei den 12 Euro hierzulande zu den Niederlanden (11,75 Euro) nur einen geringen Unterschied gibt; auch zu Frankreich (11,27), aber viel mehr zu Spanien. Dort sind die 6,55 Euro nur noch etwas mehr als die Hälfte im Vergleich zu uns. Es gibt also Differenzen in der EU, die im Bereich der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion besonders auffällig sind. Bei uns arbeiten in der Saison rund 280.000 Erntehelfer auf den Erdbeer- und Spargelanlagen oder später in den Weinbergen. Früher waren das überwiegend Menschen aus Polen (Mindestlohn derzeit 4,87 Euro), heute mehr aus Rumänien (3,64) oder eben durch Öffnungsregeln auch aus Nicht-EU-Ländern, wo von Mindestlöhnen schon keine Rede ist. In Spanien, woher unsere Gemüseimporte besonders umfangreich und damit hier „marktrelevant“ kommen, gibt es unter anderem besonders viele Erntehelfer aus Marokko. Das zeigt, wie schwierig es ist, bei uns gleichzeitig kostendeckend und marktgerecht Tomaten, Gurken oder etwa auch Blaubeeren in den Handel zu bringen. Man kann nur zu dem Schluss kommen, dass die Unterschiede bei den Mindestlöhnen gesamteuropäischen Gedanken und Zielen widersprechen. Im Detail gibt es dazu erhebliche Differenzen auch in den einzelnen Regelungen für Saisonkräfte, die nach ihrem Einsatz in West- oder Südeuropa wieder in die Heimat fahren.

 

Der französische Präsident verlangt im Zusammenhang mit der Debatte um Agrarförderungen den Erhalt der Souveränität und Selbstversorgung in der EU. Macron hat im Rahmen der Debatten über die Finanzen in der gemeinsamen Agrarpolitik gefordert, dass den Landwirten ein Leben in Würde mit einem angemessenen Einkommen gewährleistet wird. Der deutsche Strategieplan zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) begleitet nach Angaben des Özdemir-Ministeriums (BMEL) den Wandel in der nationalen Umsetzung der GAP, der Umwelt-, Natur- und Klimaschutz wie auch der Landwirtschaft und den ländlichen Räumen zugutekommen soll. Aber: „Mehr als die Hälfte der EU-Mittel werden inzwischen nach dem GAP-Strategieplan für Umwelt- und Klimaziele eingesetzt“, heißt es in der Veröffentlichung des BMEL zu den Zielsetzungen der Förderung. Im Verständnis, welche Ziele die Agrarpolitik im Spannungsfeld zwischen Erzeugung und Umweltleistungen anzustreben hat, gibt es in Europa bei allen gemeinsamen Regelungen nun einmal anhaltend unterschiedliche Auffassungen. 

 

Fachkräftemangel an allen Ecken und Enden

 

Kommen wir über die geschilderten Verhältnisse bei den Erntehelfern hinaus zurück zu unserem ständigen Thema mangelnder Arbeitskräfte. Es fehlt zunehmend an allen Ecken und Enden. Aktuell hat die Bundesagentur für Arbeit aktualisierte Daten zum Fachkräftemangel veröffentlicht. Danach fehlen derzeit in 200 von 1200 Berufen Fachkräfte. Besonders angespannt ist die Lage in Pflegeberufen, im Handwerk, im Transportgewerbe oder im IT-Bereich. Im Vergleich zum Vorjahr fällt unter anderem der Ausfall im Hotel- und Gastronomiebereich auf. Und dann klagen auch noch die Schausteller, dass es kaum noch mitreisende Hilfskräfte für die Jahrmärkte gibt. Man könnte natürlich sarkastisch eine Frage im Zusammenhang mit der aktuellen Tarifpolitik anschließen: Was machen denn die Menschen in ihrer Freizeit, wenn sich die Vier-Tage-Woche weiter durchsetzt und gleichzeitig der entsprechende Dienstleistungsbereich für Unterhaltung und Erholung zunehmend seine Türen schließt?

 

Nein, das Thema Fachkräftemangel ist ernst und treibt die Politik um. Gleichwohl gibt es keine durchschlagenden Erfolgsmeldungen dazu. Sie sind auch dann nicht zu erwarten, wenn sich etwa der Sozialminister und die Außenministerin zusammen ins Exotische aufmachen. In unserem Blog hat unser Autor Jürgen Wermser beschrieben, wie wenig erfolgversprechend solche Anwerbetouren wie die des Ampelgespanns Heil/Baerbock nach Brasilien sein werden.

 

Zum Wochenschluss noch der übliche Blick auf das Wirken unserer Regierung – genannt Ampel. Er fällt trübe aus, wie die aktuellen Zahlen des ARD-Deutschlandtrends belegen. Die Demoskopen melden ein Rekordtief: 79 Prozent der Befragten sind mit der Arbeit der Ampel-Koalition „weniger bzw. gar nicht“ zufrieden. Festgemacht wird diese Stimmung im Wesentlichen an der Überarbeitung des sogenannten Heizungsgesetzes. Die geplante, aber im Detail und in den finanziellen Folgen noch längst nicht absehbare Umstellung auf das klimaschonende Heizen löst offensichtlich wesentlich mehr Ängste aus, als bei der Formulierung der Gesetzentwürfe in den zuständigen Ministerien und vom Bundeskanzler erwartet wurden. Zwei Drittel äußern finanzielle Zukunftssorgen.

 

AfD liegt gleichauf mit der SPD

 

Das ist dann der Teich, aus dem die Extremen fischen: Die AfD legt in der Sonntagsfrage auf 18 Prozent zu und erreicht den Wert der SPD. Damit haben wir uns auch wieder einmal mit dem Begriff Volkspartei auseinanderzusetzen. Die Projektionen auf die nächsten Landtagswahlen in den nun im Prinzip nicht mehr neuen, aber politisch anders gelagerten Bundesländern wie Sachsen und Thüringen lösen steigende Nervosität aus. Sichtbar wird sie etwa bei Ministerpräsident Michael Kretschmer, der wiederum mit seinem eigenen Ostkurs der CDU im Bund auch nicht hilft, den Deckel bei knapp 30 Prozent nach oben aufzubrechen. 

 

Bis zu den Sommerferien werden wir die Fortsetzung unserer vielen kontroversen Debatten im Lande zu erwarten haben. Dabei haben wir heute in dieser Kolumne noch nicht einmal politische Themen wie Migration, Krankenhausplanung, Verkehrspolitik oder Bildung und Erziehung angefasst. Auch nicht den alles überlagernden Krieg, den Putin angezettelt hat und der zunehmend massiv auch auf unsere Innenpolitik wirkt. 

 

Trotz allem wünsche ich Ihnen ein erholsames und gutes Wochenende. Kommen wir zurück zum Beginn dieses Textes: Wie wäre es mal wieder mit einem Ausflug zu einem nahen Hofladen oder einen der Wochenmärkte? Dort finden Sie das, was den Sonntag genussvoll werden lassen könnte.

 

Damit grüße ich Sie und verbleibe

Ihr

Jost Springensguth

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