Geht dem Green Deal die Luft aus?

Der Umbau der Volkswirtschaft stößt zusehends auf Gegenwind. Es wird Zeit, dass Kommissionspräsidentin von der Leyen einen Abgleich mit der Realität vornimmt

Europa-Flaggen hängen vor einem Gebäude der EU. (Foto: Tim Reckmann / pixelio.de)
Europa-Flaggen hängen vor einem Gebäude der EU. (Foto: Tim Reckmann / pixelio.de)

 

Von Ludwig Hintjens

 

Der „Green Deal“ – der Umbau der gesamten europäischen Volkswirtschaft nach Kriterien des Klimaschutzes – gerät zusehends unter Druck. Lange schien das Projekt, das Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen als Überschrift für das Mandat ihrer Kommission für die Jahre 2019 bis 2024 gewählt hatte, unanfechtbar. Nicht die Pandemie mit dem zeitweiligen Zusammenbruch des Binnenmarktes und der Lieferketten führte zu Abstrichen. Auch nicht der Überfall Russlands auf die Ukraine, der einen Preisschock bei Gas, fossilen Treibstoffen und Elektrizität auslöste, lockerte die Zügel. Die Kommission hielt unbeirrbar Kurs und legte Vorschlag um Vorschlag vor. 

 

Ein Großteil des politischen Handelns dieser Kommission war der Green-Deal-Logik untergeordnet. Wenn die EU Wort halten will und bis 2035 CO₂-Emissionen um 55 Prozent gegenüber dem Referenzjahr 1990 sinken sollen und der Block 2050 klimaneutral unterwegs sein will, muss sich der Ressourcenverbrauch von Industrie und Verbrauchern radikal ändern. 

 

Andere EU-Mitgliedsstaaten dämpfen den grünen Ehrgeiz

 

Jetzt gibt es jedoch Anzeichen, dass Ursula von der Leyens Green Deal die Luft ausgeht. Aus den Mitgliedsstaaten und dem Europaparlament heißt es: Jetzt ist mal gut. Die größte Fraktion im Straßburger Plenum, die christdemokratische EVP, fordert schon seit Monaten ein Belastungsmoratorium. Vor allem die Vorschläge, die die Kommission im Hinblick der Landwirtschaft noch in der Pipeline hat, sollten auf Eis gelegt werden. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat sich ganz ähnlich zu Wort gemeldet. Er will seinen Zuruf für die Zeit nach den Europawahlen verstanden wissen. Sei es bei den CO₂-Flottengrenzwerten für Nutzfahrzeuge, den Plänen zur drastischen Senkung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln oder Regeln zum Isolieren und Heizungstausch in privaten und öffentlichen Gebäuden – überall zeichnet sich ab, dass die Mitgliedstaaten den grünen Ehrgeiz dämpfen.   

 

Selbst die Kommission betätigt das Bremspedal – auch wenn das im Berlaymont niemand offiziell bestätigen würde: Angekündigte einschlägige Vorschläge verschwinden ganz vom Terminplan der Kommission wie etwa der zu Mikroplastik. Andere werden um zwei Monate verschoben: Das ist gerade mit dem Gesetzespaket für ein nachhaltiges Agrar- und Ernährungssystem geschehen. Es soll jetzt erst Anfang Juli kommen. Wenn es um die Eindämmung der Lebensmittelabfälle geht, müssen die Bauern mit weiteren Vorgaben aus Brüssel rechnen. Indem die Kommission das Paket nun zwei Monate später auf den Verhandlungstisch legt, ist dies indirekt eine Entwarnung: Alle wissen, es wird nicht mehr genügend Zeit bleiben, um die Gesetze vor den Wahlen im Juni 2024 durch Parlament und Staatenkammer zu bringen. Bis alles abgeschlossen ist und ein Datum für das Inkrafttreten feststeht, dürfte es 2025 werden. 

 

Auf allen Ebenen hat der Green Deal Schwung verloren

 

Auf allen Ebenen der Gesetzgebung hat der Green Deal Schwung verloren. Es ist wichtig, die Klimaziele zu erreichen. Der Weg dafür ist mit der Verabschiedung des erweiterten Emissionshandels geebnet. Der Gesetzgeber sollte sich jetzt darauf konzentrieren, für eine punktgenaue Umsetzung der klimarelevanten Vorschläge zu sorgen. Darüber hinaus gibt es aber Vorschläge, die von den Wunschzetteln der auch auf EU-Ebene einflussreichen Umwelt-Lobby stammen und wenig oder nichts zur Erreichung der Klimaziele beitragen. Beim Chemikalienrecht sollen Stoffe verboten werden, die für die Umsetzung der Klimaschutzmaßnahmen benötigt werden. 

 

Einmal im Jahr bei ihrer Rede zur Lage der Union zieht die Kommissionspräsidentin Bilanz und gibt einen Ausblick. Das nächste Mal ist dies im September der Fall: Da erwarten die Bürger, dass die Chefin der mächtigen Behörde einen Abgleich mit der Realität vornimmt und erklärt, wo sich ihre Kommission beim Green Deal verhoben hat.

 


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