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  • AutorenbildJost Springensguth

Zwischen politischem Umbruch und Energiewende: Auswirkungen auf den ländlichen Raum

Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche


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Liebe Leserinnen und Leser,


in dieser Woche können wir, trotz unserer Themenschwerpunkte für den ländlichen Raum mit seinen Zusammenhängen, nicht umhin, zunächst allgemein auf die politische Landschaft zu blicken. Sie hat sich am Wochenende gravierend verändert. Am Ende machen wir einen kleinen Ausflug zur EU mit Erwartungen an die Agrarpolitik in der neuen Legislaturperiode. Wir schließen mit einem besonderen Aspekt beim Ausbau der erneuerbaren Energien und wie sich dies auf Wildlebensräume im Zusammenhang mit der Photovoltaik auswirken könnte.

 

Nach einer relativ klaren Prognoselage in den Umfragen der Wochen und Monate zuvor war es dann nicht mehr überraschend, mit welchen Wahlergebnissen am Sonntagabend die politische Landschaft in Deutschland durchgeschüttelt wurde. Nicht nur in Thüringen und Sachsen hat sich offensichtlich die politische Enttäuschung in großem Maße aufgestaut, sondern wir müssen mit weiteren Entwicklungen rechnen. Das wird dann wohl in zwei Wochen in Brandenburg, nach der nächsten Landtagswahl, noch sichtbarer werden. Gestern veröffentlichte die Bild-Zeitung eine Insa-Umfrage, wonach sich der Trend mit dem Zulauf zur AfD (27 Prozent) und BSW (15 Prozent) bestätigt. Zur Vollständigkeit: SPD 23 Prozent und CDU 18 Prozent. Damit wird dies der dritte Problemfall für unsere demokratische Stabilität. Es lässt vermuten, wie sich dieser Trend auch über die östlichen Bundesländer hinaus fortsetzen könnte.

 

In Thüringen jedenfalls scheint es ein Drittel der Wählerinnen und Wähler relativ wenig zu kümmern, dass die AfD vom Verfassungsschutz „als erwiesen rechtsextremistisch“ eingestuft wird. In Sachsen ist das nicht viel anders, und warum sollte sich der Blick auf die anstehende dritte Landtagswahl im September gravierend ändern?

 

In unserem Blog hat gestern unser Autor Michael Lehner darauf hingewiesen, dass der Rechtspopulismus in den inzwischen nicht mehr ganz so neuen Bundesländern längst nicht mehr nur von enttäuschten älteren Männern ausgeht. Auch die Jungen wählen AfD und Wagenknecht. Ein Thema, das uns seit längerem beschäftigt, ist die Offensichtlichkeit, mit der in der großen Politik die Provinz abgehängt wird. Da lassen sich genügend Beispiele anführen, wie tief sich die zitierte Kluft zwischen großstädtischen Strukturen und ländlichen Räumen in Herzen und Köpfen verfestigt. (Siehe den Beitrag in der unten aufgeführten Themenliste unseres Blogs).

 

Versuche der Regierungsbildung auch als Horrorszenarien?

 

Eine Betrachtung, die wenig oder nur hinter vorgehaltener Hand in den etablierten demokratischen Parteien diskutiert wird, wäre die gewohnte Übung, wonach die stärkste Partei den Auftrag zur Regierungsbildung hätte. Immerhin scheint es der Wählerwille zu sein, dass dies auf die AfD zufallen könnte. Für alle überzeugten Demokraten wäre das mit guten Gründen ein Horrorszenario. Was wäre, wenn? Höcke und Co. müssten in Thüringen auf Partnersuche gehen. Nach den Erklärungen aller anderen in den Landtag gewählten Parteien müsste dies für ihn oder wen er vorschickt aussichtslos bleiben. Wie hitzebeständig sind die erklärten Brandmauern? Wahrscheinlich haben diejenigen recht, die trotz aller Versicherungen der Wagenknecht-Partei dann ein Bündnis unter Extremisten befürchten. Die Schnittmengen AfD-BSW sind erschreckend: außenpolitisch (für die Landespolitik im Prinzip irrelevant) Raketen, Russland und Ukraine, und innenpolitisch Migration, Wirtschaft ohne Klimaziele. Der Thüringer CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt hat vielleicht in seiner Einschätzung recht, dass das BSW trotz aller Festlegungen die Option einer Zusammenarbeit mit der AfD als letzten Pfeil doch im Köcher hält.

 

So versuchen Voigt und Kretschmer, ohne Aussicht auf verlässliche Parlamentsmehrheiten, aus Positionen der Schwäche Regierungen zu bilden. Wenn aber schon ein Dreier-Bündnis wie in Berlin versagt, wie soll so etwas für die CDU mit dem BSW und dann den Resten von SPD und Grünen (nur in Thüringen) funktionieren? Eine leistungsfähige Regierungsarbeit ist einfach nicht zu erwarten. Da bleibt die Frage, was die Wählerinnen und Wähler eigentlich wollen. Kompetentes Personal auch für die Administration haben die Extremisten wohl kaum. Das zeigt sich schon im thüringischen Sonneberg, wo der dort gewählte AfD-Landrat gemessen an seinen Ankündigungen große Lieferschwierigkeiten hat. Als einer der letzten (!) Landkreise in Thüringen hat er die Bezahlkarte für Flüchtlinge eingeführt. Vor seiner Wahl hatte er zudem versprochen, den Euro abzuschaffen und die Grenzen dichtzumachen. Das ist selbstverständlich nicht passiert – wie auch? Trotzdem hat die AfD in Sonneberg wieder viele Stimmen bei den Europawahlen im Juni erhalten.

 

In Raguhn-Jeßnitz hat der erste AfD-Bürgermeister im Wahlkampf angekündigt, die Kita-Gebühren zu senken. Tatsächlich stiegen sie. Dennoch landete die AfD wieder auf Platz 1. In Umfragen werden ihr stets nur niedrige Kompetenzwerte bescheinigt. Das hält die Wählerinnen und Wähler aber offenbar nicht davon ab, sie zu wählen.

 

Unsere Redaktion stimmt ihre Themen wöchentlich in Video-Konferenzen ab. Nach dem letzten Wahlsonntag hat unser Autor Christian Urlage an geschichtliche Erfahrungen mit einem Zitat erinnert, das zeigt, wie schwierig auch historisch der Umgang mit Rechtsextremen und Populisten ist. Bevor Adolf Hitler an die Macht kam, gingen auch Paul von Hindenburg und Franz von Papen davon aus, Hitler zähmen zu können. Wörtlich sagte Papen: „In zwei Monaten haben wir Hitler in die Ecke gedrückt, dass er quietscht.“ Tatsächlich war die Demokratie dann sehr schnell am Ende. Auch wenn die AfD nicht mit Nazis gleichzusetzen ist, würde sie bei der Bildung einer Landesregierung wichtiges Personal austauschen und den Rechtsstaat aushöhlen. Solche Versuche würden also aller Voraussicht nach im Desaster enden. Nur die Wählerinnen und Wähler würden sehen, was sie gewählt haben. Das Risiko des Praxisbeispiels wäre für unser Allgemeinwohl einfach zu hoch. Wir haben es, wie Thomas de Maizière sagte, mit „demokratiegefährdenden“ Wahlergebnissen zu tun.

 

„Wir brauchen jetzt den großen Wurf“ – wer soll ihn liefern?

 

In den bundespolitischen Reaktionen blickt alles auf die Ampel. Sie steht in breiter Kritik und gilt besonders in Bezug auf die bisherige Migrationspolitik als Auslöser dessen, was wir am Wahlsonntag erlebt haben. Nach dem gestern veröffentlichten Deutschlandtrend ist die Dreier-Koalition in Berlin so „unbeliebt wie nie“ und hat kaum noch Vertrauen.

 

Der Chef der Deutschen Bank, Christian Sewing, sagte in dieser Woche dem Handelsblatt, er sei natürlich traurig, dass in einem Land mit unserer Vorgeschichte so etwas passieren kann. Dann seine Forderung: „Wir brauchen jetzt den großen Wurf“. Wir erleben in diesen Zeiten allerdings das Gegenteil von Wirkungen eines Wumms oder Doppel-Wumms. Mehrere Wirtschaftsinstitute sind in Alarmstimmung. Nur: Wer soll jetzt liefern? Das Kabinett? Der Kanzler macht sich mit Erklärungen rar und sein Kabinett übt sich in „Business as usual“. Es tagte am Mittwoch und fasste folgende Beschlüsse: Ältere erhalten durch die Rentenversicherung Anreize (Heil: „Späterer Rentenbeginn soll sich lohnen, länger zu arbeiten“); eine Vereinfachung des Baurechts wurde beschlossen, um dem Ziel von 400.000 neuen Wohnungen im Jahr näherzukommen; E-Autos werden wieder gefördert, weil die politisch in diese Richtung gedrängte Autoindustrie hustet – bekommt das Land Fieber. Allein bei VW ist das mehr als ein Husten. „Business as usual“ reicht wohl nicht mehr …

 

Messerkriminalität und Waffengesetzgebung

 

Eines der untauglichen Rezepte dieser Regierung zur Bekämpfung der schon fast täglich gemeldeten Fälle der Gewaltkriminalität treibt die Innenministerin voran. Es bleibt meiner Meinung nach ein Irrglaube, das Problem durch weitere Veränderungen der Waffengesetzgebung zu lösen. Das läuft auf die immer wieder diskutierte Grundsatzfrage hinaus, ob das durch neue Gesetzgebungen oder die Anwendung vorhandener Regelungen besser wird. In Münster z.B. hat sich in diesen Tagen die Polizeipräsidentin Alexandra Dorndorf dazu geäußert, wie auf der Ebene der Exekutive die Messerkriminalität bekämpft werden kann: „Rechtsmittel ausschöpfen, Kontrolldruck erhöhen, Prävention und Fortbildung intensivieren.“ Prävention und Aufklärung seien wichtige Bausteine ihres neuen Konzepts zur Bekämpfung der Messerkriminalität. Das könnte als Praxisbeispiel Schule machen.

 

Blicken wir noch kurz auf die EU. In Brüssel und Straßburg beginnt nach der Europawahl und der folgenden Sommerpause wieder langsam der politische Betrieb. Unser Autor Ludwig Hintjens hat am Donnerstag im Blog (siehe unten „Weg von der Gießkanne“) beschrieben, was in der nächsten Legislaturperiode zu erwarten ist. Die wiedergewählte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will bis März ihre Vision für Landwirtschaft und Ernährung vorstellen. Dabei lässt sie sich von Experten leiten. Diese empfehlen die Abschaffung der Direktzahlungen. Unterstützungsleistungen sollen demnach nur noch diejenigen erhalten, die aktiv als Landwirte arbeiten und es wirklich nötig haben. Mal sehen, was daraus wird und wie sich dieser Bereich in der EU verändert, wenn die agrarstarke Ukraine einmal beitreten sollte.

 

Und am Montag werden wir uns im Blog unter www.blog-natur-und-mensch.de wieder mit einem Thema beschäftigen, das auch im Zusammenhang der Nutzung alternativer Energiequellen und der Jagd zu betrachten ist. Unser Autor Christoph Boll bezieht sich aktuell auf Hinweise des Deutschen Jagdverbandes (DJV) von vor gut zwei Jahren. Danach entstehen Konfliktfelder, weil die Energiewende auch zu Lasten des Wildes vorangetrieben werden kann. Diese Betrachtung konzentriert sich auf den Solar-Boom. Die Flächenauswahl für Photovoltaikanlagen in großem Ausmaß hat massive Auswirkungen auf Wildlebensräume. Jetzt geht es um Vorschläge für wildtierfreundliche Planungs- und Gestaltungsmaßnahmen. Unter anderem wird auch ein aktuell viel diskutiertes Thema aufgegriffen: die Erhaltung von Fernwechseln, also den Routen für weite Wanderungen des Wildes, um den genetischen Austausch nicht zu behindern.

 

Mit diesen Hinweisen, Gedanken und Lesetipps wünsche ich auch im Namen unserer Autoren ein gutes Wochenende, an dem sich noch Sommerstimmungen mit herbstlichen Aussichten mischen.

 

Ihr

Jost Springensguth

Redaktionsleitung / Koordination

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