Das Bundesumweltministerium will in „Dörflichen Wohngebieten“ den Schutz vor Lärm verschärfen. Die angepeilten Obergrenzen gefährden Gewerbe-, Agrarbetriebe und Bauernhöfe. Nicht praxistauglich, sagen auch die kommunalen Spitzenverbände
Es geht um drei Dezibel (A). Das hört sich nach wenig an. Doch die Dezibel-Skala verläuft nicht linear wie ein Metermaß, sondern logarithmisch. Drei dB (A) mehr oder weniger in einer steil verlaufenden Kurve machen einen enormen Unterschied aus. Dies erklärt auch die Aufregung, mit der bundesweit Wirtschaftsverbände von der DIHK bis zum Deutschen Raiffeisenverband auf einen Referentenentwurf zur Änderung der „Technischen Anleitung (TA) zum Schutz gegen Lärm“ reagieren. Das Umweltministerium, so heißt es, wolle offenbar in diesen gemischten Gebieten die Gesamtlärmimmission mit einem Schlag halbieren.
Was dies für Gewerbebetriebe oder Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Nebenerwerbsbetriebe bedeutet, kann man sich ausmalen. Sie fallen, wenn sie die geplanten Auflagen aus technischen oder finanziellen Gründen nicht erfüllen können, durchs Rost oder werden von Nachbarn, die vom Dorfleben vor allem Ruhe erwarten, mit Klagen überzogen. Wenn das umgesetzt wird, führt das mutmaßlich zu einer Verdrängung durch die Hintertür.
Den Gebietstyp „Dörfliches Wohngebiet“ gibt es anders als das „Dorfgebiet“ erst seit wenigen Jahren. 2021 wurde das „Dörfliche Wohngebiet“ vom Gesetzgeber in die Baunutzungsverordnung aufgenommen. Im Zuge der Bauland-Mobilisierung sollte diese neue Einordnung eines dörflichen Bereichs dabei helfen, neuen Wohnraum auch dort zu schaffen, wo bereits Gewerbebetriebe, Höfe oder Läden ihren angestammten Platz haben.
Befürchtungen durch Referentenentwurf des Umweltministeriums
Fachleute gingen stets davon aus, dass „Dörfliche Wohngebiete“ sich bei den geltenden Immissionsrichtwerten nicht von „Dorfgebieten“ unterscheiden. Umso größer war jetzt das Erstaunen über den Referentenentwurf aus dem Bundesumweltministerium. „Tags 57 dB(A), nachts 42 dB(A)“, lautet der Vorschlag. Eine Abkehr von der gängigen Praxis, den jungen Gebietstyp beim Immissionsrecht so wie ein „Dorfgebiet“ (60/45) einzuordnen. Inzwischen hat sich sogar die Bundesrechtsanwaltskammer kritisch geäußert. Die angedachten Grenzwerte lägen nur zwei dB (A) über denen für ein „Allgemeines Wohngebiet“. Die politische Grundidee, die dörflichen Wohngebiete als Mischform zu stärken, gehe verloren.
Noch ist der Referentenentwurf zur Änderung der TA Lärm nicht ressortabgestimmt. Aber die Stellungnahmen von außen sind eindeutig. Das Hauptstadtbüro Bioenergie, das vom Bundesverband Bioenergie e.V., dem Deutsche Bauernverband, dem Fachverband Biogas und der Fachverband Holzenergie getragen wird, sieht neben den Folgen für die Bioenergiebranche auch neue „unnötige Auflagen“ auf die Betriebe zukommen. Einmal mehr werde Bürokratie nicht ab-, sondern aufgebaut. Biomasseanlagen, Biogasanlagen und auch Holzheizkraftwerke würden beim neuen Lärm-Deckel an manchen Standorten gar unmöglich werden.
Auch die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK), die die gesamte gewerbliche Wirtschaft vertritt, hält die im Ministerium erdachten Immissionsrichtwerte für die „Dörflichen Wohngebiete“ für deutlich zu niedrig. Viele Gewerbebetriebe würden dadurch eingeschränkt. Auch die Nutzung von Windenergie würde dadurch erschwert.
Der Deutsche Raiffeisenverband, der Agrarhandel und der Deutsche Verband Tiernahrung, deren Mitglieder viele Betriebsstätten im Dorf führen, kritisieren unisono die neuen Grenzwerte. Der Handlungsspielraum der Unternehmen werde erheblich beeinträchtigt. Und das Konfliktpotenzial nehme dadurch zu. Gerade während der Erntezeit müssten die Betriebe auch nachts arbeiten können.
Aber wie soll das gehen, wenn es sommertags nach 22 Uhr auf dem Hof oder im Agrarhandel nicht einmal mehr so laut sein darf wie in der Dorf-Kneipe? Ist der Bauer im Dorf unerwünscht?
Nur noch Bescheuerte in Berlin