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Wahlkampfduelle, grüne Städte und ein wandernder Wolf

Autorenbild: Jost SpringensguthJost Springensguth

Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche


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Liebe Leserin, lieber Leser,


selbst die Süddeutsche Zeitung stellte gestern nach der ersten Wahlsendung „Schlagabtausch“ fest: „Neben der Migration werden es andere Themen schwer haben.“ Das war die erste Runde der „Kleinen“ im ZDF. Ob wir da morgen mehr vom Duell „Scholz gegen Merz“ auf beiden großen öffentlichen TV-Kanälen dann sehen und hören werden? Alles dreht sich um den Wahl-Endspurt zum 23. Februar. Wir bleiben dabei, auch in dieser Wochenkolumne, nicht nur auf den politisch fast alles überstrahlenden Wahlkampf einzugehen, sondern auch mal darauf zu schauen, wie grün im wahrsten Sinne des Wortes ein Ballungszentrum sein kann, welche politischen Zukunftssorgen die Jägerschaft bewegen und wo gerade wieder einmal ein Wolf seine Spuren mit Wild- und Schafsrissen hinterlässt.


Hinter uns liegt eine Woche voller politischer Aufregung – auch künstlicher. Die linksalternative TAZ schreibt: „Die Zusammenarbeit der Union mit der AfD im Bundestag löst Schockwellen aus.“ Irgendwie muss es da eine links verortete Mitwirkung in den Parteien geben, die für sich gleichzeitig die Mitte beanspruchen. Das bezieht sich auf die Befeuerung einer Demo-Kampagne gegen Friedrich Merz, die auf Straßen, Plätzen und vor CDU-Geschäftsstellen stattfindet. Der Begriff „Zusammenarbeit“ der CDU mit der AfD in dem TAZ-Zitat entspricht wahrlich nicht der Wirklichkeit. Das erkennt jeder, der sich mit dem Vorgang der umstrittenen Abstimmung im Bundestag befasst und beobachtet, was sich drumherum abspielt. Der Versuch, mit Stimmungen die vielzitierte Brandmauer vor die Union zu verschieben, hat in der Wirklichkeit wohl nichts mehr mit der politischen Mitte zu tun.


Beim Blick auf die Umfragen fällt auf, dass sich in der Sonntagsfrage offensichtlich nicht viel verändert – eher leicht verbessert. Die Rechnung von Scholz und Habeck ging nicht auf.


Und wer ist die Mitte? Bei der Europawahl hat die SPD jeweils über 570.000 Wähler an AfD und BSW verloren, aber auch 1,45 Millionen an die CDU. Wenn die Scholz-Partei jetzt mit dem Spruch „Mitte statt Merz“ wirbt, muss man sich automatisch fragen, ob die SPD mit ihren 15-Prozent-Prognosen wirklich noch die Mitte vertritt. Die Grünen mit ihrem neuen internen Gezänk um Habeck schon gar nicht.


Nach dem Deutschlandtrend vom 31. Januar meldet die ARD-Tagesschau: „Zwei von drei Bürgerinnen und Bürgern (68 Prozent) sind der Meinung, Deutschland sollte weniger Flüchtlinge aufnehmen als bislang. Dieser Wert ist in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich gestiegen. Gern wird vor allem vom bereits zitierten und noch amtierenden grünen Wirtschaftsminister Habeck an die Unverzichtbarkeit von Fach- bzw. Arbeitskräften mit Migrationshintergrund erinnert. Das deckt aber nicht das Kernthema Zuwanderung ohne gültige Einreisepapiere ab, die übrigens 57 % der Befragten ablehnen.


Nach der Wahl kommen alle Themen in ihrer Breite wieder auf den Tisch


In den aktuellen Diskussionen über Zuwanderung wird die Gesamtthematik in vielen Fällen mit den bei uns fehlenden Arbeitskräften in Verbindung gebracht. Genannt werden immer wieder Krankenhaus- und Pflegepersonal. Erinnert sei bei dieser Gelegenheit daran, dass das auch auf Landwirtschafts-, Garten-, Weinbau- und Forstbetriebe zutrifft, auch wenn hier vorwiegend Saisonkräfte beschäftigt werden, die meist aus europäischen Ländern kommen. Hier geht es auch um ein Gesamtbild.


Das ändert nichts daran, dass sich der laufende Wahlkampf auf die Themen Migration, Sicherheit und Wirtschaft im Allgemeinen verengt. Wenn es dann mit einer neuen Koalition ans Regieren geht und ein neuer Koalitionsvertrag entsteht, kommen wieder alle Themen auf den Tisch – auch die, die uns bewegen. Wenn etwa in der vergangenen Woche rund 20.000 Jägerinnen in Hannover zusammengekommen sind, um gegen ein neues (Landes-)Jagdgesetz zu demonstrieren, hat das in erster Linie mit der Bundestagswahl nichts zu tun. Sie kamen aber aus dem ganzen Bundesgebiet, um ihre Sorge zu zeigen, dass Grün-Rot perspektivisch das Jagen verbieten will. Das gibt wie die Bauernproteste eine latente Stimmung wieder, die natürlich auch weiter bei den Bundestagswahlen wirkt. In unserem Blog schaut unser Autor Christian Urlage in die relevanten Partei- und Wahlprogramme, was von wem im künftigen Bundestag zu erwarten ist, wenn wieder über die Entwicklung der ländlichen Räume und deren eingebettete Wirtschaftsbereiche debattiert und beschlossen wird. Daneben wird wohl bald die Zick-Zack-Zoll-Politik Trumps am Ende über die EU auch uns auf dem Lande treffen. Und damit sind wir wieder bei der Rolle einer neuen Bundesregierung, die nicht nur die Migration auf der Agenda hat, sondern eben mehr.


Bürgermeister fragen Kandidaten


Ein neues Format in einem Bundestagswahlkampf ist mir übrigens in Baden-Württemberg aufgefallen. Dort hat in Singen ein Wochenblatt die Bürgermeister und Oberbürgermeister der Region gebeten, Fragen aus der Kommunalpolitik an die verschiedenen Bundestagskandidaten der Parteien zu stellen. Dazu gehört als Beispiel auch, ob der, der etwas bestellt hat (Bund oder Land), das auch bezahlt oder den Aufwand den Kommunen überlässt. Es geht um gesetzlich beschlossene Aufgaben, die dann ohne Absicherung der Finanzierung nach unten übertragen werden. Da fallen dann die Stichworte Betrieb von Krankenhäusern, Kitas oder auch Asylheime. Damit sind wir wieder bei dem, was gerade kleinere Kommunen trifft.


Stadt und Land nahe beieinander


Bei einem Wochenendausflug hatten wir nach der Dortmunder Messe Jagd & Hund mit Essen noch eine weitere Ruhrgebietsmetropole zum Ziel. Bei einer Fahrt durch die Südbezirke beider Städte sind Ortsfremde oft überrascht, wie grün in Ballungszentren wie hier an der Ruhr die Städte sind. Der Weg zwischen zwei Essener Stadtteilen von Heidhausen über Werden nach Kettwig führt knapp zehn Kilometer fast ausschließlich durch ausgedehnte Wälder mit großenteils alten Beständen. Da fragt sich der Interessierte, wie hier in einer Großstadt mit 600.000 Einwohnern Jagd und Hege funktionieren. Das ist in neun Hegeringen organisiert. Und es treffen die Interessen von Stadt und Land direkt aufeinander. Sie auszugleichen und der gegenseitige Wissenstransfer gehört auch zu den Anliegen der Stiftung natur+mensch, die diesen Blog herausgibt. Der Oberbürgermeister der Stadt, Thomas Kufen (CDU), erinnert gern daran, dass sich Essen als „Grüne Hauptstadt Europas 2017“ für immer verpflichtet sieht. „Der renommierte Titel war und ist für uns Auszeichnung und Ansporn zugleich.“ Einmal Grüne Hauptstadt, immer Grüne Hauptstadt. Kufen verspricht, in den Bemühungen um Artenschutz, Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung, Umweltschutz und Klimaneutralität nicht nachzulassen. Das sagte er jetzt wieder ausgerechnet in einem Industriedenkmal, der Zeche Zollverein, beim 20. Flora-Fauna-Tag dort. Mehr Symbolik geht nicht.


Wolf trifft Medien – und das direkt


Und dann noch etwas, das man unter der Rubrik „Wolf trifft Medien“ vermerken könnte. Über ein inzwischen nicht mehr so außergewöhnliches Erlebnis berichtet der Zeitungsverlag Schleswig-Holstein (SHZ), in dem auch die Kappelner Lokalzeitung Schlei-Bote erscheint. Ein Zusteller filmte gegen 4 Uhr morgens einen Wolf. Er berichtet: „Auf gerader Strecke rennt das Tier auf der linken Seite zwischen Karby und Kappeln an der Schlei.“ Der Mann dachte erst, es sei ein Fuchs. „Als ich dann näherkam, sah ich den riesigen Wolf.“ Sehr schnell soll er gewesen sein. Wie das bei uns so ist, liegt die Zuständigkeit bei einer solchen Sichtung beim Wolfs-Koordinator. Das ist dort Jens Matzen, der nach dem Zeitungsbericht sofort eine Idee hatte, um welches Tier es sich handeln könnte: vermutlich ein Rüde aus Sachsen, der seit einigen Wochen in Schleswig-Holstein unterwegs ist. Ein männliches Tier mit dem Namen GW4176m. Seine Spur der Schafs- und Wildtierrisse führt nach der in der Zeitung zitierten Vermutung des Fachmanns in Sachen Wölfe durch die Kreise Segeberg und Rendsburg-Eckernförde sowie die Wilstermarsch weiter in den Norden an Schlei und Ostsee. Dort leben die Menschen hinter Deichen, die die Schafe bekanntermaßen nicht nur zur Weide nutzen, sondern auf denen sie eine unverzichtbare Aufgabe zur Pflege erledigen.


In der Hoffnung, dass Ihre Reviergänge ohne derartige Begegnungen bleiben, wünsche ich ein erholsames Wochenende. Vielleicht auch mal in einem Stadtwald!

Ihr Jost Springensguth

Redaktionsleitung / Koordination


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