Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche
Liebe Leserinnen und Leser,
bei der Betrachtung dieser Woche schlagen wir wieder einen größeren Bogen von den aktuellen Ereignissen in Berlin bis zu den Themen, die wir mit beim Blick auf die ländlichen Regionen erfassen und zusammenfassen: Haushalt, Landtagwahlkämpfe und der Zustand unserer Wälder beschäftigen uns genauso wie Besonderheiten der Olympischen Spiele.
Wir erinnern uns an den ehrgeizigen Schlussspurt des Ampeltrios Scholz-Lindner-Habeck, um vor der parlamentarischen Sommerpause den Etatentwurf als Regierungsbeschluss an das Parlament zu übergeben. Jetzt hat der Finanzminister mit neuen verfassungsrechtlichen Zweifeln dem Kanzler den Sommerurlaub vermiest. Seine Zustimmung in der finalen Einigung, die da noch offene Etatlücke mit einer Darlehnslösung zu schließen, hat Christian Lindner im Alleingang über das ZDF-Sommerinterview bekanntlich zurückgezogen. „Das passiert mir kein zweites Mal“, sagte er mit Blick auf sein Scheitern vor dem Bundesverfassungsgericht Ende letzten Jahres und bezog sich auf zwei aktuelle wissenschaftliche Bewertungen.
Mit dieser Äußerung erregte er die urlaubenden Gemüter, und die SPD schäumt von der Spitze her. Für die SPD-Co-Vorsitzende Esken ist damit „die Grenze des Erträglichen in einer Koalition“ überschritten. Und für Fraktionschef Rolf Mützenich ein „einmaliger Vorgang“ im Verhältnis von Regierung und Parlament. Der Kanzler ließ aus seinem Urlaub vermelden, dass er die Bedenken seines Finanzministers nicht teile. Der habe das aktuelle Gutachten zum Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt „grundfalsch aufgefasst“. Da kann man jetzt auch auf die Ebene von Namensvettern gehen. Der Verfassungsrechtler Rupert Scholz (mit bekanntermaßen CDU-Vergangenheit im Kabinett) meint, Olaf Scholz blende die Verfassungswirklichkeit aus. Die Union wirft der SPD fortgesetzte Haushaltstricksereien vor. Wem sollen wir nun noch glauben?
Mit dem Versuch eines „Basta“ des Kanzlers zu Lindners Bockigkeit nagt dieser Zwist weiter am Fundament der Koalition. Mal sehen, wie sich das nach der parlamentarischen Pause in Berlin fortsetzt. Schaffen Scholz und Lindner es, diesen Etatkonflikt noch einmal intern zu regeln, hält die Ampel brüchig weiter. Wird er offen ausgetragen, kann Merz sein bekannt gewordenes Trainingsprogramm für einen vorgezogenen Wahlkampf im Konrad-Adenauer-Haus scharf schalten. Wenn dann Kubicki noch skandiert, wie ernst es um die Koalition steht, lässt das im Regierungsviertel doch wohl einen heißen Herbst erwarten. Nach dem Politbarometer, das gestern die ARD veröffentlichte, scheint die Union bei der Sonntagsfrage oberhalb von 30 Prozent langsam weiter zuzunehmen. Ihre 32 Prozent sind in Summe gleich mit den Werten von SPD, Grünen und FDP.
Bei der mutmaßlichen Haushaltslücke geht es übrigens um die Finanzierung notwendiger Investitionen in die Deutsche Bahn und unsere Autobahnen. Damit also um unsere Verkehrsinfrastruktur und unter anderem auch um eine bessere Anbindung bzw. Erreichbarkeit abgehängter Regionen. Bei den ganzen Sommerinterviews unserer politischen Spitzen haben wir übrigens praktisch nichts über die Anliegen und Bedarfe in den ländlichen Regionen gehört.
Sorgen und Nöte der ländlichen Regionen als Wahlkampfthemen
Richten wir einmal den Blick auf den September mit den anstehenden Landtagswahlen im Osten der Republik. Im überwiegend ländlich geprägten Brandenburg tingelt beispielsweise Jan Redmann von Dorf zu Dorf, um am 22. September die CDU so stark zu machen, dass er Dietmar Woidke von der SPD als Ministerpräsident ablösen kann. Redmann ist als 44-jähriger Politiker jung und mit Blick auf die Stimmungslage im Bund nicht chancenlos. Dabei muss er den Makel eines bekannt gewordenen Führerscheinentzugs wegstecken. Das scheint im Wahlkampf im Gegensatz zu seinen Themen eine eher untergeordnete Rolle zu spielen. Er redet mit Landwirten, über Mobilfunklöcher, unbesetzte Stellen in einer der wenigen Landmetzgereien, Entfernungen zu Ärzten, Schulen und Behörden. Und wie schwierig oder auch mühselig es ist, dort zu leben, wo es schön ist, aber auch manchmal exotisch rückständig: Wir reden vom Spreewald, wo der Fährmann mit dem „Staken“ in den Händen Touristen auf seinem Kahn übers Wasser schiebt. Dort gibt es Zukunftsängste, die kaum bekannt sind: Was ist, wenn mit dem Grundwasser aus dem stillgelegten Braunkohlebergbau künstliche Seen gespeist werden und nicht mehr die Spree? Das hatten wir schon als Thema in unserem Blog.
Über den Wald mit seinen Kontroversen
Allein dieses Bundesland hat über 1,1 Millionen Hektar Wald. Das sind 37 Prozent der Landesfläche. Der Waldbesitzerverband thematisiert dort auch im Wahlkampf die „Zukunftsorientierte Landnutzung“, wobei der Wald mit den bekannten Kontroversen über seine Bewirtschaftung eine besondere Rolle spielt – wie überall bei uns. Am Montagabend sendet die ARD den zweiten Teil des Filmbeitrags „Erlebnis Erde: Unsere Wälder“. Unser Autor Michael Lehner hat sich den ersten Teil angesehen und einen Kommentar dazu geschrieben, der am Montag bei uns zu lesen ist. Sein Eindruck über das TV-Stück: „Naturfilm mal anders: Keine Märchen vom Wolf, der angeblich die Jagd ersetzen könnte. Keine längst widerlegten Thesen von der Artenvielfalt in sich selbst überlassenen Wäldern. Dafür klare Bekenntnisse zum Nutzen.“ Wir freuen uns auf den zweiten Teil.
„Was einmal in die Hose gegangen ist …“
In der abgelaufenen Woche war auch durch die Fernsehübertragungen die ganze Welt fasziniert von Olympia, von der einzigartigen Stimmung in Paris und den spektakulären und zum Teil hauchdünnen Entscheidungen um Gold, Silber und Bronze. Versailles, wenige Kilometer abseits vom Wettkampfzentrum Paris, war für den ländlich verorteten Sport Reiten dabei etwas Besonderes. Deutsche Reiterinnen und Reiter haben mit ihren Pferden Millionen in den Bann gezogen, wie vor dieser Schlosskulisse dort Mensch und Pferd jeweils eins werden und nach jahrelang harter Arbeit mit Spitzenleistungen punktgenau zum Olympiasieg reiten: Drei Gold-Erfolge konnten wir dort zählen. Zum Sport gehören auch die Pechvögel, die vorn nicht dabei sein durften. Der bekannte Fachkommentator für „Hippologische Vollgenüsse“, Carsten Sostmeier, drückte die Chancenlosigkeit nach einem Springfehler in Qualifikation oder dem ersten Umlauf so aus: „Was einmal in die Hose gegangen ist, kann nicht mehr geradegebügelt werden.“ Olympia stellt mit seinen Milliarden-TV-Reichweiten Sportarten in den Blickpunkt, die sonst eher im Schatten von Großereignissen mit Spitzenleistungen glänzen.
Selbst bei diesem Weltfest des Sports musste man dann schon in die Live-Streams gehen, wenn man das sportliche Trap- oder Skeetschießen wenigstens am Bildschirm miterleben wollte. Tim Bonner, dessen Newsletter von der britischen Countryside Alliance zu meiner regelmäßigen Lektüre zählt, hat diese Disziplinen mit Faszination beobachtet und in beeindruckender Weise beschrieben. Er schwärmt natürlich für einen britischen Olympiasieger: Nathan Hales hat in dieser Woche mit 48 von 50 Trap-Treffern einen olympischen Rekord aufgestellt. Die beiden olympischen Schrotflintenwettbewerbe – Olympisches Trap und Olympisches Skeet – sind Disziplinen, die sich über die ganze Welt erstrecken – etwa von Malta über Taiwan bis nach Neuseeland. Die internationale Anziehungskraft des Flintenschießens wurde dann übrigens noch bei den Damen durch den Olympiasieg von Adriana Ruano Oliva aus Guatemala unterstrichen. „Diese Leistungen machen das Schießen für viele normal, die sonst nicht damit in Berührung kommen.“ Das sportliche Trapschießen ist seit 1900 olympisch und somit eine der ältesten Disziplinen. Die Deutschen haben übrigens auch schon ihren Beitrag geleistet: Der Pfarrkirchener Konrad Wirnhier hat 1972 in München im Skeet die Goldmedaille geholt. Da ist also wieder Nachholbedarf unter den immerhin 1,3 Millionen Sportschützen in Deutschland. Ihr Verhalten ist nach meiner Auffassung übrigens besser als ihr Ruf.
So hoffen wir nicht nur in dieser Disziplin auf die nächsten Olympischen Spiele in Los Angeles. Zuvor wünsche ich Ihnen auch im Namen unserer Redaktion ein schönes Wochenende – vielleicht nicht nur vor dem TV zum Olympia-Finale, sondern auch in der freien Natur
Ihr
Jost Springensguth
Redaktionskoordination von „natur+mensch“
Comments