Die Bauern haben Wort gehalten. Ihr Auftakt der Aktionswoche war weder zu übersehen noch zu überhören. Ein legitimer Protest mit Vorgeschichte
Manch einer hatte Sorge, der Deutsche Bauernverband und die 18 Landesverbände könnten sich verheben und mit ihrem Protestaufruf nach dem ersten zaghaften Einlenken der Ampel-Regierung scheitern. Doch weit gefehlt: Zigtausende Bäuerinnen und Bauern zwischen Kiel und Konstanz, Heinsberg und Görlitz haben gestern generationsübergreifend und vielerorts gegen die Haushaltspläne der Bundesregierung demonstriert. Friedlich und in einem zulässigen sowie genehmigten Rahmen.
Bemerkenswert: Der Bundesverband Güterverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), sprich Spediteure und Lkw-Fahrer, das Handwerk und auch die Jägerschaft haben sich an vielen Stellen den Bauern angeschlossen. Eine willkommene Unterstützung und gleichzeitig ein Beleg dafür, dass die Folgen einer verfehlten Agrarpolitik sich über die Hofgrenzen hinaus herumsprechen und sich ohnehin auf andere Branchen wie Logistik, Fleischer- oder Bäckerhandwerk auswirken. Es geht bei allem Unmut nicht nur um Existenzängste und die Zukunft der bäuerlichen Familienbetriebe, sondern auch um die Perspektiven ländlicher Räume.
Dass rechte Trittbrettfahrer und radikale Randgruppen sich am Montag bemühten, den Bauernprotest in eine mit Umsturzfantasien und Generalstreikaufrufen gepaarte blinde Wut gegen den Staat umzulenken, war nach dem Schlüttsiel-Vorkommnis zu erwarten. In Unna wurden „Querdenker“ verjagt, in Dresden und Cottbus missbrauchten Rechtsextreme trotz Warnungen der Landesverbände die Proteste für ihre Zwecke. Die Landwirte müssen auch in den kommenden Tagen alles daransetzen, sich nicht vor den falschen Karren spannen zu lassen. Es braucht in diesem Diskurs keine „Freien Sachsen“ oder „Heimattreue Deutsche Jugend“.
Proteste vor der Kulisse eines Bündels ungelöster Fragen
Es geht nämlich nicht um einen Umsturz, sondern konkret um wettbewerbsverzerrende Kürzungen beim sogenannten Agrardiesel und um die Idee einer Kfz-Steuer für land- und forstwirtschaftliche Fahrzeuge, die neben den insgesamt gestiegenen Energie-, Material- und Dienstleistungskosten die Einnahmesituation der Höfe weiter belasten. Und dies vor einer Kulisse, zu der unter anderem die ungelösten Fragen bei der Nutztierhaltung und beim Tierwohl, eine fragwürdige Düngegesetzgebung, unverhältnismäßige und ideologiegetriebene Ideen für den künftigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, der zögerliche Schutz der Weidetierhalter vor dem Wolf und ein gängelndes Waldnutzungsgesetz gehören. Es gibt klar definierte Baustellen teils mit längerer Vorgeschichte, an denen Politik und Bauern arbeiten.
Kolonnen- und Sternfahrt, Traktorkorso, Schlepperdemo, Kundgebung und Mahnfeuer – die Aktionswoche geht heute weiter und wird erst am 15. Januar in Berlin mit einer Großdemonstration enden. Wenn es in den nächsten Tagen gelingt, den Protest auf Straßen und Plätzen bei den Verbrauchern in ein wachsendes Verständnis für die Sorgen und Nöte der Bauern umzumünzen und die Politik zu gewinnen und zu bewegen, dann hat sich der Aufwand für die Bauern gelohnt. Erste aktuelle Umfragen im Internet zeigen, dass bis zu 75 Prozent der Befragten Verständnis für die Demonstrationen haben.
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