Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche
Liebe Leserinnen und Leser,
in unserem Wochenkommentar beleuchten wir die Folgen der Ereignisse in Syrien für die Flüchtlinge, die in Deutschland Schutz gesucht haben, gehen auf die Ministerpräsidentenwahlen in Brandenburg und Thüringen ein sowie deren mögliche Auswirkungen auf den Bundestagswahlkampf. Wir befassen uns ferner mit Plänen der CDU für eine Agrarwende sowie mit aktuellen Zahlen zur Erderwärmung und deren Folgen für die Naturnutzung im ländlichen Raum. Ein weiteres Thema sind die Flächennutzung in Deutschland sowie die Entwicklung der Immobilienmärkte bei knapper werdenden Flächen und unterschiedlichen Bewirtschaftungsperspektiven.
Wie klein die Welt mittlerweile geworden ist, zeigen erneut die dramatischen Bilder aus Damaskus. Während die Menschen in Syrien den Sturz des mörderischen Assad-Regimes feiern, wird hierzulande schon über die ganz praktischen Folgen für Deutschland diskutiert. Diese betreffen gleichermaßen die Großstädte wie den ländlichen Raum. Konkret geht es um Hunderttausende von Flüchtlingen, aber auch um viele Fachkräfte, die aus Syrien stammen und mittlerweile zu unverzichtbaren Säulen etwa in unserem Gesundheitssystem geworden sind. Dies gilt nicht zuletzt für viele Arztpraxen und Kliniken gerade im ländlichen Raum. Kein Wunder, dass sich viele Menschen hier über „ihre“ Syrer momentan Gedanken machen. Wer von ihnen will, wer von ihnen sollte möglichst bald zurück in seine ursprüngliche Heimat gehen, weil sich dort die politische Situation grundlegend geändert hat und mögliche Asylgründe entfallen sind?
Noch ist die Lage in Syrien zu unübersichtlich, um kurzfristig eine drastische Umkehr der Flüchtlingszahlen zu erwarten. Aber die entsprechende Hoffnung wächst mit jedem Tag, an dem die Lage in Syrien stabiler wird und die neuen Machthaber zu ihren Versprechungen von Sicherheit, Recht und Demokratie stehen.
Wünschen von Putin-Verstehern gefolgt
Zurück nach Deutschland, genauer gesagt in die beiden Flächenländer Brandenburg und Thüringen. Dort haben die jeweiligen Landtage nach langem Hin und Her einen Ministerpräsidenten gewählt. SPD und CDU wird es freuen. Doch der politische Preis ist teils sehr hoch und überdies ohne langfristige Erfolgsgarantie. Vor allem der Sozialdemokrat Dietmar Woidke hat sich politisch kräftig verbogen, um den Wünschen der Putin-Versteher-Partei BSW gerecht zu werden. Die Zeche für diese Nachgiebigkeit könnte die SPD an anderer Stelle – sprich Bundesebene – zu entrichten haben. Denn durch Woidkes Konzession ist die Glaubwürdigkeit der SPD bei der Ukraine-Unterstützung zumindest in Zweifel gezogen, wenn nicht gar beschädigt.
Auch in Thüringen steht der neue CDU-Ministerpräsident Mario Voigt in Sachen BSW vor einer Gratwanderung. Allerdings zeigt die Wagenknecht-Partei in Erfurt mehr landespolitisches Selbstbewusstsein und Rückgrat gegenüber ihrer radikalen Parteigründerin. Dies macht die Situation der CDU mit Blick auf den Bundestagswahlkampf etwas einfacher als für die Sozialdemokraten angesichts der ideologischen Verrenkungen in Brandenburg.
Die Ausgangslage für die Union ist ohnehin besser als die der anderen Parteien nach dem krachenden Scheitern der Berliner Ampelkoalition. CDU und CSU führen in den Umfragen zur Bundestagswahl mit großem Vorsprung. Doch abgerechnet wird bekanntlich erst zum Schluss. Bis zum Wahltag kann noch vieles passieren. Auch intern kann sich die Union wie im Wahlkampf 2021 wieder selbst ein Bein stellen. Damals hatte Markus Söder dem damaligen CDU-Chef Armin Laschet die Kanzlerkandidatur zu lange streitig gemacht. Diesen allzu offensichtlichen Fehler hat Söder dieses Mal vermieden, indem er Friedrich Merz von Anfang an den Vortritt ließ. Aber so ganz scheint Bayerns Ministerpräsident nicht aus seiner Haut zu können. Dass er bereits Posten nach einem Wahlsieg verteilen will – Stichwort neuer Landwirtschaftsminister – ist ebenso heikel, wie die kategorische Absage an eine Koalition mit den Grünen. Auch Merz hegt erklärtermaßen keinen Sympathien für die Ökopartei. Doch als Druckmittel bei möglichen Koalitionsverhandlungen mit der SPD könnte sie ihm unter Umständen sehr nützlich sein.
Wertschätzung und Lösungssuche im Konsens statt Kontrolle und Konflikt: Eine deutliche Wende in der Agrarpolitik können die Landwirte von einer neuen, unionsgeführten Bundesregierung erwarten. Kanzlerkandidat Merz wurde am späten Donnerstag im sauerländischen Olsberg vor Vertreterinnen und Vertretern der westfälisch-lippischen Land- und Forstwirtschaft bereits konkret: Die stufenweise Abschaffung der Rückvergütung beim Agrardiesel – ein Beschluss der gescheiterten Ampel-Regierung – will er zurückführen. Insgesamt sollen die deutschen Landwirte steuerlich nicht schlechter dastehen als ihre Berufskollegen in den europäischen Ländern. Merz will Rahmenbedingungen schaffen, die die Betriebe in die Lage versetzen, im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Dazu gehört auch das Dauerthema Bürokratie. „Das müssen wir grundsätzlich anfassen“, sieht der CDU-Vorsitzende dringenden Handlungsbedarf auf allen Ebenen. Ein Drittel der Berichtspflichten müsse man streichen. In der kommenden Woche gehen wir in unserem Blog noch einmal detailliert auf diese Vorschläge ein.
Wärmstes Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen
Entscheidend ist jetzt, dass alle politischen Parteien konkret und überzeugend darlegen, wie sie die großen Herausforderungen nicht zuletzt für den ländlichen Raum bewältigen wollen. Denn die dünner besiedelten Regionen mit einer intensiven Naturnutzung sind allzu lange vernachlässigt worden. Hinzu kommt, dass hier die Folgen des Klimawandels und der Energiewende besonders stark zu spüren sind. Das reicht vom teils problematischen Bau neuer Stromtrassen – siehe hierzu auch unseren Blogbeitrag von Christoph Boll am Donnerstag – bis hin zu notwendigen Anpassungen in der Forst- und Landwirtschaft. Überall steigt der Druck angesichts des fortschreitenden Klimawandels. So berichtet jetzt der EU-Dienst Copernicus, dass 2024 wohl das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen sein werde. Zudem dürfte die Temperatur in diesem Jahr erstmals im Schnitt mehr als 1,5 Grad höher als im vorindustriellen Mittel sein, also im Vergleich zu den Jahren 1850 bis 1900. Der EU-Klimawandeldienst Copernicus stützt sich bei dieser Prognose auf einen Datensatz, der auf Milliarden von Messungen basiert.
Halb Deutschland landwirtschaftlich genutzt
Bleiben wir im ländlichen Raum und bei Zahlen, die man sich leicht merken kann. Ein Drittel der Fläche Deutschlands ist bewaldet und die Hälfte gehört nach Angaben des Bundesumweltamtes zur Kategorie landwirtschaftlich genutzt. Zur Vollständigkeit: Knapp 15 Prozent macht die Fläche aus, wo wir wohnen, arbeiten und uns bewegen. Sie wird als „Siedlung und Verkehr“ aufgeführt. Der Rest sind Seen, Flüsse, Kanäle und nahe Küstengewässer sowie „sonstige Flächen“. Genau ist das hier nachzulesen. Die Zahlen verdeutlichen Größenordnungen, wenn wir von der Nutzung reden.
Auf dem Lande betrifft das die große Gruppe der Naturnutzer. Mit ihren Interessen befassen wir uns in den Beiträgen unseres Blogs. In Stichworten umfasst das unter anderem Belange von Landwirten, Forstwirten, Eigentümern, Pächtern, Jägern, Imkern, Fischern, Reitern, aber auch die Energiewirtschaft und den großen Anteil, den wir als Naturgenießer oder Erholungssuchende mit ihren Freizeitinteressen bezeichnen wollen. In unseren Beiträgen reden wir vom „ländlichen Raum“, dessen Gewicht durch die zitierten Zahlen allein schon statistisch belegt ist. Wie entwickeln sich Flächen in öffentlichem und privatem Eigentum? Die Immobilienmärkte sind deshalb ein spannendes Thema, dem unser Autor Wolfgang Kleideiter nachgegangen ist. Sein Beitrag „Markt entwickelt sich deutlich differenzierter“ erscheint am Montag. Als Gesprächspartner hat er den Fachmakler Julius Losch befragt, weil Kaufwerte und Marktentwicklungen bei knapper werdenden Flächen und unterschiedlichen Bewirtschaftungsperspektiven auch für viele unserer Nutzer mit Eigentumsinteressen von Interesse sein müssen. Gelegentlich werden wir in unserem Blog weiter unser Augenmerk auch auf diesen Themenbereich richten.
Ich wünsche Ihnen eine gute, positive Woche und verbleibe mit den besten Grüßen
Ihr Jürgen Wermser
Redaktionsleitung/Koordination
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