top of page

Nicht in Nebensächlichkeiten verzetteln

  • Autorenbild: Jürgen Wermser
    Jürgen Wermser
  • 31. Okt.
  • 5 Min. Lesezeit

Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und auf die Bundespolitik


ree

Beitrag anhören (MP3-Audio)

Liebe Leserinnen und Leser,


in unserem Wochenkommentar befassen wir uns mit dem Zustand der Berliner Koalition vor dem Hintergrund der viel diskutierten Stadtbild-Äußerung von Kanzler Merz. Außerdem gehen wir auf den Kurswechsel von Agrarminister Rainer in Sachen Veggie-Schnitzel ein und beschäftigen uns ausführlich mit der sich ausbreitenden Vogelgrippe, die vielen Landwirten und Geflügelhaltern große Sorgen bereitet. Weiteres Thema: die Myxomatose bei Feldhasen.


Manchmal fragt man sich schon, ob alle Koalitionspolitiker tatsächlich wissen, welch große Verantwortung mit dem Eintritt in eine Regierung verbunden ist. Beispiel Diskussion um das Stadtbild. Statt sachlich über reale Probleme wie illegale Migration, fehlendes Sicherheitsgefühl an bestimmten öffentlichen Orten und die oft zu geringe Polizeipräsenz zu sprechen, kochen die Emotionen über einen angeblich fremdenfeindlichen Zungenschlag bei Friedrich Merz hoch. Diese künstliche Aufregung ist in vielerlei Hinsicht schädlich. Sie bringt die Debatte inhaltlich in keiner Weise weiter und schadet obendrein in gefährlicher Weise dem Ansehen der Koalition – ganz abgesehen davon, dass ein solcher Streit nur Wasser auf die Mühlen von Rechtsextremen ist.


Gewiss, der Kanzler hätte sich besser von Anfang an präziser ausdrücken sollen, damit ihm später nicht so einfach das Wort im Munde umgedreht werden konnte. Doch ebenso klar ist, dass Merz Deutschland als weltoffenes Land sieht, in dem rechtskonforme Migration – Stichworte Fachkräftemangel und Asylrecht – erwünscht und gelebte Praxis ist. Vor allem Politiker des Koalitionspartners SPD hätten deshalb gut daran getan, sich nicht künstlich aufzuregen. Die Bürger wollen keine Opposition innerhalb der Regierung, sondern seriöse Lösungen für die aktuell immensen Herausforderungen in der Wirtschafts-, Sozial- und Verteidigungspolitik. Natürlich darf und muss dabei gelegentlich auch über alternative Konzepte gestritten werden. Doch gilt es, sich nicht in Nebensächlichkeiten zu verzetteln. An diesem Punkt hat die schwarz-rote Koalition insgesamt noch reichlich Luft nach oben, wie auch ihre schlechten Umfragewerte zeigen. Weniger Aufgeregtheiten, mehr Augenmaß und Pragmatismus sollte daher die Devise bei Union und Sozialdemokratie sein.


Verwaltungsaufwand zu groß


Wie das konkret aussehen kann, hat jüngst Bundeslandwirtschaftsminister Alois Rainer vorgemacht. So will sich der CSU-Politiker entgegen früherer Aussagen nun doch innerhalb der EU gegen europäische Vorgaben für die Bezeichnungen von Fleischersatzprodukten einsetzen. Zuvor hatte Rainer ebenso wie Kanzler Merz ein Votum des Europaparlaments unterstützt, wonach vegetarische Fleischersatzprodukte künftig nicht mehr Burger, Schnitzel und Wurst heißen sollen. Zur Begründung verwies der Bundeslandwirtschaftsminister jetzt auf den großen Verwaltungsaufwand und auf hohe Kosten für die Hersteller bei einer Änderung der Bezeichnung. Außerdem wüssten Verbraucherinnen und Verbraucher, dass ein Veggie-Schnitzel nicht aus Fleisch sei, meinte Rainer. Recht hat er. Es gibt wichtigere Probleme zu lösen, nicht zuletzt im Agrarbereich.


Aktuell ist es besonders die Vogelgrippe, die vielen Landwirten und Geflügelhaltern große Sorgen bereitet. Über die dramatischen Folgen dieser Tierseuche hatten wir Anfang der Woche in unserem Blog ausführlich berichtet. Der Artikel in unserem Blog hat viele unserer Leserinnen und Leser veranlasst, in den sozialen Medien zu reagieren. Allein bei Facebook waren etwa 1000 Kommentare zu unserem Artikel zu lesen.


Bundesweit müssen zehntausende Tiere gekeult werden, immer mehr Landkreise und Regionen verhängen eine Aufstallungspflicht für Geflügel. Neben dem Elend für die infizierten Tiere und dem wirtschaftlichen Verlust für viele Geflügelbetriebe wird bereits aus einigen Regionen eine Knappheit an Gänsen und Enten für Verbraucher gemeldet, so zum Beispiel aus Brandenburg, das besonders von der Vogelgrippe betroffen ist. Wie sich die Tierseuche auf Preise und Angebote auswirkt und ob der Höhepunkt überschritten ist, werden wir in der kommenden Woche in unserem Blog weiter beobachten und darüber berichten.


Infektionswelle rollt weiter


Ein Ende dieser Infektionswelle zeichnet sich leider noch nicht ab. Neu ist in diesem Jahr vor allem das frühe Auftreten. „Vorher war Vogelgrippe nur im Winter zu erwarten, jetzt gibt es zumindest bei Wildvögeln das ganze Jahr über Fälle“, sagte Ursula Höfle vom spanischen National Game and Wildlife Research Institute in einem Spiegel-Interview. In Deutschland seien besonders Kraniche betroffen, was bisher nur aus anderen Ländern wie Israel oder Ungarn bekannt war. Die aktuelle Welle habe bereits im Juli begonnen, viel früher als bei der bislang schlimmsten Welle im Jahr 2022. Zudem unterscheide sich die Situation in der Vielfalt der betroffenen Vogelarten, dem heftigen Verlauf bei infizierten Vögeln sowie der häufigen Übertragung auf Säugetiere.


Aus den USA wurden auch 70 menschliche Infektionen bekannt, doch traten zumeist nur milde Symptome auf. Von Mensch zu Mensch konnte das Virus bisher nicht springen. Doch ist nicht auszuschließen, dass das Virus H5N1 durch Mutationen irgendwann auch für Menschen gefährlich werden könnte.


ree

Eine weitere Infektionskrankheit, die aktuell im Norden Deutschlands große Sorgen unter Jägern auslöst, ist die Myxomatose beim Feldhasen. Ab September 2024 hatten sich die Meldungen über eine entsprechende Ausbreitung gehäuft. Der stellvertretende Präsident der Landesjägerschaft Niedersachsen, Josef Schröer, erklärte kürzlich, die Hasenmyxomatose sei eine der größten Katastrophen, die die Landesjägerschaft in den vergangenen Jahrzehnten getroffen habe. „Es hat alles übertroffen, was ich an Elend bis zu dem Moment in meinem Leben gesehen habe“, so Schröer, dessen Revier im Emsland selbst extrem unter der Seuche zu leiden hatte. Regionen, die im vergangenen Jahr nicht betroffen waren, treffe es nur mit voller Härte – das Infektionsgeschehen bleibe diffus. Für eine Entwarnung sei es zwar zu früh, es besteht laut Schröer aber auch Anlass zur Hoffnung. So gebe es erste Meldungen aus den Revieren in NRW, die als erste von der Seuche betroffen waren, dass dort nicht nur das Infektionsgeschehen deutlich rückläufig sei, sondern die Feldhasenbestände auch wieder ansteigen. Ähnliches werde aus einigen Revieren in Niedersachsen gemeldet.


Hirsch durchbricht Windschutzscheibe


Zum Schluss noch ein anderes Thema, das mein Kollege Jost Springensguth bereits letzte Woche in seinem Newsletter kurz angesprochen hatte: die sich aktuell häufenden Wildunfälle. Der Deutsche Jagdverband (DJV) hat hierzu in dieser Woche die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Untersuchung veröffentlicht. Dabei waren über 102.000 Datensätze ausgewertet worden, die Verkehrsteilnehmer von 2017 bis 2025 im Tierfundkataster gemeldet hatten. Daraus ergibt sich, dass Unfälle vor mit allem Reh- und Damwild sowie Wildschweinen besonders oft zwischen Oktober und Dezember passieren, vor allem in den Morgenstunden von acht bis zehn Uhr. Wie schlimm so etwas ausgehen kann, zeigt ein tragischer Unfall, der sich diese Woche bei mir in der Nähe in der Lüneburger Heide ereignete. Als ein Hirsch am Mittwochmorgen über eine Kreisstraße lief, erfasste eine 29-jährige Frau das Tier mit ihrem Auto. Der NDR beschreibt das weitere Geschehen so: „Der Hirsch wurde … über die Fahrbahn geschleudert und kollidierte mit einem entgegenkommenden Transporter. Der Hirsch durchbrach die Windschutzscheibe und verletzte den 60-jährigen Beifahrer tödlich. Die Fahrerin des Autos und der Fahrer des Transporters blieben laut Polizei unverletzt, standen aber unter Schock.“ Der Fall zeigt einmal mehr, dass Autofahrer bei drohendem Wildwechsel nicht vorsichtig genug sein können…


Ich wünsche Ihnen ein schönes, unfallfreies Wochenende. Und vielleicht gönnen Sie sich ja auch mal wieder ein schönes Essen mit Wildbret, so wie es die Hälfte der Bundesbürger mindestens einmal im Jahr macht, auf dem Land sogar noch häufiger. Übrigens: Auch in Zeiten der Vogelgrippe bleibt gut durchgegartes Fleisch von Wildvögeln für den menschlichen Verzehr unbedenklich. Darauf weist der DJV aus aktuellem Anlass hin. Das Virus werde durch Erhitzen für zwei Minuten auf mindestens 70 Grad Celsius sicher abgetötet.


Mit besten Grüßen

Ihr Jürgen Wermser

Koordination/Redaktionsleitung

1 Kommentar


Rothenberg
01. Nov.

Sehr guter Beitrag. Die wichtigsten Aussagen wuden präzise, klar und verständlich formuliert.

Gefällt mir
bottom of page