Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche
Liebe Leserinnen und Leser,
gestern war es dann so weit: Karl Wilhelm Lauterbach hat sein Cannabis-Gesetz mit der Teillegalisierung knapp durch den Bundesrat gebracht. Das auch gestern noch in der Debatte der Länderkammer weiter umstrittene Gesetz wird zum 1. April in Kraft treten. Dass der dann legal begrenzte Bezug, Anbau und Konsum dieses Rausch- und Heilmittels zu der von den Befürwortern erwünschten Austrocknung eines Schwarzmarktes und zur Entkriminalisierung in der Drogenszene führen soll, überzeugt unverändert die Kritiker nicht. Ich höre und lese von vielen Medizinern fast nur Bedenken. So etwa, dass die Hemmschwelle zum Drogenkonsum eher sinken wird, weil Cannabis nun einmal eine Einstiegsdroge ist und damit die Gefahr steigender Suchtprobleme birgt. Drogen sind nachweisbar gesundheitsgefährlich wie ohnehin schon das Rauchen und übermäßiger Alkoholkonsum. Erwachsene ab 18 Jahren dürfen künftig bis zu 25 Gramm Cannabis zum eigenen Verbrauch bei sich haben und zu Hause bis zu 50 Gramm aufbewahren. Im Eigenanbau werden drei Pflanzen erlaubt. Von Juli an sollen sogenannte Cannabis-Clubs zum Anbau und begrenzten Erwerb der Droge erlaubt werden. Wie soll das alles kontrolliert werden? Etwa wenn es um Abstandsregelungen zu Kinder- und Jugendeinrichtungen geht oder das Konsumverbot bis 20 Uhr in Fußgängerzonen.
Zudem beklagen viele Länder zu Recht nicht nur den absehbaren Aufwand für Kontrollen sowie für die Umsetzung der zugleich rückwirkend beschlossenen Legalisierung: Laufende Verfahren und noch nicht vollständig vollstreckte Strafen müssen neu bearbeitet werden. Der Straferlass und die Wiedereröffnung von Verfahren wirken wie ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für unsere ohnehin überlasteten Staatsanwaltschaften und Gerichte. In Baden-Württemberg allein sollen das nach Meldung der Südwest Presse circa 19.000 Cannabis-Verfahren sein. Und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer verweigert die Zustimmung, „auch wenn es Ärger in meiner Koalition gibt“. Dort, wo Grüne und SPD in den Ländern mitregieren, konnten sich die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten nicht verweigern. Mal sehen, wie sie vor Ort mit den Folgen dessen umgehen, was da auf Bundesebene zur Beschusslage wurde.
„Die Konfrontation mit einem Cannabis-Gesetz ist angesichts der Bewältigung multipler Krisen in Frage zu stellen. Zudem ist mit mehr Todesfällen zu rechnen. Am Ende wird dies Menschenleben kosten. Der Staat aber hat die Pflicht, Menschenleben zu schützen.“
Rainer Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt
Wachstumschancen durch Entlastungen?
Und die Wirtschaft atmet auf, weil als zweite wichtige Meldung aus dem Bundesrat die Zustimmung zum ebenfalls mehr aus parteitaktischen Gründen umstrittenen „Wachstumschancengesetz“ kam. Das Wort selbst klingt wie ein bürokratisches Ungeheuer, wobei es doch auch um Bürokratieabbau gehen soll. Das Wesentliche sind Steuerentlastungen für Unternehmen in einer Größenordnung von 3,2 Milliarden Euro. Unter anderem sollen dem schwächelnden Wohnungsbau durch weitere Abschreibungsmöglichkeiten geholfen, steuerliche Forschungsanreize in der Wirtschaft gegeben und Abschreibungen für bewegliche Wirtschaftsgüter verbessert werden. Beim umstrittenen Agrardiesel blieb die Bundesregierung bei der Abschaffung, dafür soll es Zugeständnisse zur Entlastung der Landwirtschaft geben – in einer angehefteten Protokollerklärung.
Sorgenvolle Töne waren nach den Bauernprotesten und Berliner Debatten in dieser Woche auch aus einem großen Verbundunternehmen der Landwirtschaft zu hören. Der Vorstandsvorsitzende der Agravis, eines genossenschaftlichen Agrarunternehmens, Dr. Dirk Köckler, sagte auf der Bilanzpressekonferenz: „Landwirtschaft braucht verlässliche Rahmenbedingungen und eine Perspektive, damit der Nachwuchs die Betriebe fortführt, Investitionen getätigt werden und auch eine Chance besteht, dass das investierte Geld wieder erwirtschaftet werden kann.“ So zitiert ihn das Bayerische Landwirtschaftliche Wochenblatt. Und in der Zeitung am Agravis-Standort Münster, den Westfälischen Nachrichten, lesen wir, dass sich nach Köcklers Worten an das Unternehmen viele politische Fragen stellten, „die weit über die konkrete Geschäftspolitik des zweitgrößten Agrarhändlers der Republik hinausgehen“. Landwirtschaftspolitik mit den Augen der Großstadt zu betreiben, könne nicht funktionieren.
Seine Erinnerung daran, dass Landwirtschaft nichts mit Bullerbü-Romantik zu tun hat, haben wir am Donnerstag in unserem Blog an einem breit wahrgenommenen aktuellen Beispiel kritisch unter die Lupe genommen. Wolfgang Kleideiter hat sich mit dem jüngsten Werk von Anke Engelke unter dem Titel Schlechte Noten für Ankes „Häschenschule“ auseinandergesetzt. Die TV-Komikerin hat sich als Kinderbuch-Autorin versucht und dabei heftige Proteste unter den Bauern provoziert. Engelkes modernisierte Fassung der „Häschenschule“ stellt nicht nur das Original auf den Kopf, sondern auch die Natur. Dort gibt es nämlich keine veganen Füchse, die mit Hasen schmusen. Und nicht nur wir Jäger wissen, dass im Acker weit mehr Hasen sitzen als auf Golfplätzen oder gepflegtem Parkrasen. Merke: Wohlfeile Beißreflexe machen noch kein gutes Kinderbuch.
Noch einmal zurück zur Politik: Die letzte Sitzungswoche des Bundestages vor den Osterferien wurde wieder von den bekannten großen Themen dominiert, die in diesen Zeiten nun einmal außen- und europapolitisch unsere Agenda beherrschen. Da war im Parlament zunächst erneut eine Regierungserklärung des ansonsten nicht gerade erklärungsfreudigen Bundeskanzlers zur Ukraine zu hören. Entsprechend fiel – auch nicht überraschend – dann wiederum die Replik des mit wachsender Scharfzüngigkeit attackierenden Oppositionsführers aus. Es geht natürlich um die Aufreger Taurus und den Gedanken, ob man einen Krieg mit den zwangsläufigen Folgen eines Diktatfriedens und dann der zu erwartenden Teilung eines Staates einfrieren sollte. Nahezu jede und jeder fragt sich inzwischen im Lande, wie nahe oder wie weit weg ist der Krieg von mir selbst und droht uns da etwas noch Schrecklicheres, wovon wir direkt erfasst werden könnten. Das bestimmt viele Gespräche im persönlichen Kreis.
Die Saatkrähe und der Kormoran als parlamentarisches Randthema
Circa 30 weitere Tagesordnungspunkte in derselben Sitzung des Bundestages wirken dann wie Kleingedrucktes, obwohl die Inhalte schon wichtig sind. Etwa die Frage von Bestandsregulierungen des Kormorans und der Saatkrähe. Solche Themen erscheinen derzeit im Parlamentsalltag eher an den Rand dessen gedrängt, wie die zitierten großen Komplexe der Politik zeigen. Grundlage bilden Anträge, die aufwendig und überzeugend formuliert wurden und dann wieder verschwinden. Das traf jetzt für die von der Union begründete und beantragte Herabstufung des Schutzstatus der Saatkrähe zu. Dabei geht es um geschätzte 200.000 Vögel, die aufkeimende Saat fressen und damit erhebliche Verluste im Pflanzenbau verursachen. Durch einen niedrigeren Schutzstatus müsse die Bejagung durch entsprechende Gesetzgebung ermöglicht werden. Und weil die Tiere gleichzeitig mit ihren Brutkolonien Gesundheit und Lebensqualität der Menschen in der Nähe von Wohnsiedlungen beeinträchtigen, sollte eine Verlagerung von Brutkolonien genehmigt werden können. Ähnlich argumentiert wird in dem Kormoran-Antrag. Für die circa 120.000 Fischräuber, die Anfang des 20. Jahrhunderts als ausgerottet galten, sollte ebenfalls nun der Status einer besonders geschützten Art gesenkt werden.
Warum gehe ich an dieser Stelle darauf ein? Die Behandlung solcher Tagesordnungspunkte ist im Parlament trotz der geschilderten Relevanz für Betroffene in der Regel Minutensache bei minimaler Präsenz. Dazu gehört dann das übliche Schicksal von noch so gut begründeten Oppositionsanträgen. Sie werden abgelehnt und auf Nimmerwiedersehen in einen Ausschuss verwiesen. An dieser Stelle haben wir es dann übernommen, in unserem Blog wenigstens ein Stück Öffentlichkeit herzustellen.
Im dänischen Sonderburg wird so ein Problem übrigens anders gelöst. In den Regionalzeitungen des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages war zu lesen, dass lästige und aggressive Möwen nun „reguliert“ werden. Was nichts anderes als Schusswaffengebrauch bedeutet. Abschüsse in einer Stadt wären bei uns nicht denkbar. In Sonderborg sollen dagegen Einheimische und Besucher künftig in Ruhe ihr Fischbrötchen essen können.
Die beklagenswerte Situation der Mümmelmänner
Nicht nur der Jahreszeit geschuldet gehen wir in diesen Tagen in unserem Blog näher auf das Thema Osterhasen ein. Michael Lehner beschäftigt sich aus Jäger-Sicht mit der oft beklagenswerten Situation der Mümmelmänner. Und mit der Tatsache, dass längst nicht mehr viele Jäger des Hasen Tod sind, sondern weit mehr einseitige Tierliebe. Weil Fuchs und Waschbär ohne Jagd überhandnehmen und nicht nur dem Feldhasen, sondern auch den Wiesenbrütern in ihren verbleibenden Lebensräumen das (Über-)Leben schwer machen.
In der letzten Woche habe ich auf eine neue Initiative unserer Stiftung hingewiesen. Anlass ist der Verlust von zwei Jagdhunden, den eine Familie im Raum Düsseldorf zu beklagen hat. Unser Beitrag dazu hat neben den Aufrufen in den sozialen Medien eine Reihe von Lesern veranlasst, sich zu melden und die Aktion „Wer findet Ben und Lissy?“ durch einen Beitrag zu unterstützen. Dabei geht es künftig auch um weitere Unterstützung bei der Wiederbeschaffung vermisster Hunde und Prävention zu diesem Thema.
Mit diesem Wochenbrief verabschiede auch ich mich in einen kleinen Urlaub an der See. Mein Kollege Jürgen Wermser wird Ihnen dann nächste Woche in seiner Kolumne frohe Osterwünsche unseres gesamten Redaktionsteams von natur+mensch übermitteln.
Ihr
Jost Springensguth
Redaktionsleitung / Koordination
Comments