Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche
Liebe Leserinnen und Leser,
mit dem Rosenmontag hatte in dieser Woche vielerorts der Karneval seinen Höhepunkt erreicht. Auch das politische Leben lief in weiten Teilen der Republik in etwas gemäßigterem Tempo ab. In den Hochburgen des närrischen Treibens sollte nun nach Aschermittwoch allmählich wieder Normalität einkehren. Man kann nur hoffen, dass dies auch für die Regierenden in Berlin gilt und sie nicht ihre tollen Tage der vergangenen Wochen und Monate fortsetzen wollen. Sie hatten mit unverständlichen und als einseitig empfundenen Beschlüssen – Stichworte etwa Heizungsgesetz und zuletzt Agrardiesel – landesweit für große Aufregung und heftige Proteste gesorgt. Die Regierung bewegt sich hier weiterhin auf dünnem Eis. Entsprechend angespannt ist vielerorts die politische Stimmung im ländlichen Raum. Mit der Fröhlichkeit des Karnevals hat sie aktuell nichts mehr gemeinsam.
Noch düsterer ist die Stimmung, wenn momentan der Blick nach Amerika fällt. Was der frühere US-Präsident Donald Trump dort jüngst zur Zukunft der NATO sagte, gefährdet die Grundlagen unserer äußeren Sicherheit. Wenn wahr werden sollte, was Trump angedroht hat, stehen Deutschland und Europa vor sehr unsicheren Zeiten. Auch der hiesige ländliche Raum wäre davon in hohe Maße betroffen. Denn die notwendige Ausweitung des Verteidigungsetats dürfte letztlich auch wichtige Infrastrukturmaßnahmen und andere Investitionen und Hilfen für dünner besiedelte Regionen in Mitleidenschaft ziehen. Andererseits kann eine Stärkung der Bundeswehr auch zur wirtschaftlichen (Wieder-)Belebung von Truppenstandorten beitragen. Und nicht zuletzt die Produktion von dringend benötigter zusätzlicher Munition dürfte naturgemäß eher in strukturschwächeren – sprich ländlichen – Regionen erfolgen.
Leistungsbereite Arbeitskräfte gebraucht
Solche Projekte lassen sich aber nur verwirklichen, wenn in den betreffenden Gegenden genügend leistungsbereite und qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, was wiederum nur in einem funktionierenden und attraktiven ländlichen Raum der Fall sein wird. Schon deshalb wäre die Politik gut beraten, alle Teile der Republik gleichermaßen im Auge zu behalten. Niemand darf sich abgehängt fühlen, so wie dies momentan in Teilen des ländlichen Raums leider der Fall ist. Die kürzlichen Proteste der Landwirte sind ein sichtbarer Ausdruck dieses Empfindens.
Georg Schirmbeck, Präsident des Deutschen Forstwirtschaftsrates, bringt den Kern des Problems in dieser Woche gegenüber der NOZ so auf den Punkt: „Wir Land- und Forstwirte werden einfach nicht mitgenommen. Klimagipfel und Biodiversitätskonferenzen laufen ohne uns Eigentümer der Flächen und Fachexperten ab. Das ist einseitig. Die Leute im ländlichen Raum werden polemisch in die Ecke gestellt. Wenn diese Spiele nicht aufhören, kriegen wir eine Spaltung der Gesellschaft.“
Ob die Politik nach den jüngsten Bauernprotesten tatsächlich hinhört, so wie Schirmbeck es fordert? Bislang sind hierfür kaum Ansätze zu erkennen. Der eigentliche Erfolg der jüngsten Demonstrationen liegt deshalb für den Präsidenten des Forstwirtschaftsrats auch woanders: in der hohen Akzeptanz der Proteste in der Bevölkerung. Das zeige laut Schirmbeck, dass es nicht um ein paar verrückte Bauern gehe, sondern dass sich die breite Masse der Bevölkerung – insbesondere im ländlichen Raum – nicht mehr von der Politik verstanden und mitgenommen, sondern bevormundet und vernachlässigt fühle.
„Wir hatten noch nie so viele hoch qualifizierte Leute in der Land- und Forstwirtschaft – unsere Expertise genießt weltweit ein hohes Ansehen. Nur hier zu Hause redet man unsere Branche und die darin tätigen Menschen schlecht. Das muss aufhören – die Politik muss hinhören.“
Georg Schirmbeck, Präsident des Deutschen Forstwirtschaftsrates, in einem NOZ-Interview
Ein weiteres Beispiel für Konflikte, die endlich gelöst werden sollten, ist das Tauziehen um mehr Tierschutz in der Nutztierhaltung. Zentral dabei: eine solide Finanzierung, die den Landwirten langfristige Sicherheit bei ihren großen Investitionen gibt. Doch die Umsetzung der Tierwohlabgabe wird nach jüngsten Meldungen wahrscheinlich eine unendliche Geschichte, bevor sie über die lädierte Staatskasse als Investitionshilfen dort ankommt, wo neue Ställe für das Mastvieh mehr Platz und Artgerechtigkeit in der Haltung bieten sollen. Wir hatten uns bereits letzte Woche mit diesem Thema befasst. Die Borchert-Kommission hat eine Abgabe von 40 Cent pro Kilo empfohlen, um jährlich auf die von den Experten errechneten 3,6 Milliarden Euro zu kommen, die notwendig seien. Der aktuelle Landwirtschaftsminister spricht vom „Tierwohl-Cent“ und muss irgendwie erreichen, dass der Finanzminister eine Abgabe für tierische Produkt wie Fleisch, Milch oder Butter erhebt. Zur Debatte stehen eine Verbrauchs- oder Mehrwertsteuer. EU-kompatibel muss das dann auch sein, was wiederum für eine Form der klassischen Verbrauchssteuer spricht – wie etwa die Kaffeesteuer für Röstkaffee mit 2,19 Euro pro Kilogramm oder 4,78 Euro für löslichen Kaffee.
Würde die Tierwohlabgabe im Finanzetat versickern?
Die Süddeutsche Zeitung hat sich kürzlich mit solchen Staatseinnahmen befasst. Sie kommt zu dem Schluss, dass letztlich das Geld weniger in den Umbau von Ställen fließen, sondern im Finanzhaushalt versickern würde. Eine Lösung über die Mehrwertsteuer geht auch nicht, zumal der Bundesrechnungshof gerade beim Finanzminister eine längst überfällige Reform der Mehrwertsteuer mit Beseitigung von Unterschieden in den Erhebungssätzen anmahnt. Auch die Finanzwächter nehmen das Beispiel des bereits besteuerten Kaffees. Wird er schwarz mit einem kleinen Schuss Milch serviert, werden wie beim Zusatz von Milchersatz 19 Prozent Umsatzsteuer erhoben; sind mindestens 75 Prozent „echte“ Milch in der Tasse – wie beim Cappuccino oder Latte Macchiato – kommen darauf sieben Prozent Mehrwertsteuer.
Der Bundesrechnungshof mahnt den Finanzminister: „Die Liste der Ausnahmen zum ermäßigten Steuersatz wächst kontinuierlich. Schwimmbäder, Brennstoffe, Beherbergungen, Verkehrsmittel – für kaum eine Kategorie gilt ein einheitlicher Steuersatz. Die Regelungen sind kompliziert. Sie führen vielfach zu Abgrenzungsschwierigkeiten und widersprüchlichen Ergebnissen und beschäftigen seit Jahren nationale und europäische Gerichte.“ Werden die Ausnahmen gestrichen, kommen 35 Milliarden zusätzlich in die Staatskasse. Mal sehen, wie es Lindner wohl in dieser Gemengelage mit der gewünschten Tierwohlabgabe in der Praxis halten würde …
Weitere Verbesserungen, die die Belange der Landwirtschaft und des Umweltschutzes sinnvoll in Einklang bringen, sind das Gebot der Stunde: Die Brüsseler EU-Kommission hat dem in dieser Woche Rechnung getragen, als sie jetzt eine umstrittene Auflage für europäische Bauern rückwirkend zum 1. Januar aussetzte, wonach die Landwirte vier Prozent des Ackerlandes brachliegen lassen oder unproduktiv nutzen müssen. Voraussetzung, um die Ausnahme in Anspruch nehmen zu können, ist nach Angaben der Kommission, dass Bauern im Gegenzug auf vier Prozent ihrer Ackerflächen stickstoffbindende Pflanzen wie Linsen oder Erbsen beziehungsweise Zwischenfrüchte anbauen. Doch mit diesem Brüsseler Pragmatismus kann sich die deutsche Umweltministerin leider nicht anfreunden. Steffi Lemke (Grüne) lehnt die Entscheidung der Kommission aus Artenschutzgründen ab. Sie will sich stattdessen dafür einsetzen, dass die Ausnahmen in Deutschland nicht umgesetzt werden – eine in der aktuellen Krisenlage doch recht rigorose Haltung.
Immer mehr Eile beim Essen
Genug der Politik. Ich wünsche Ihnen ein erholsames und ruhiges Wochenende. Und vielleicht nehmen Sie sich ja auch mal etwas Zeit zur persönlichen Entschleunigung in der Natur und im ländlichen Raum – sofern Sie nicht ohnehin das Glück haben, dort zu wohnen. Manchmal hilft auch ein bewusster Blick zurück, um zu erkennen, was einem in der heutigen Zeit gelegentlich abhandengekommen ist. Beispiel Essen. So war es im bäuerlichen, ländlichen Leben über Jahrhunderte üblich, zwei Hauptmahlzeiten zu nehmen, eine am Morgen und eine am Mittag. Und heute? „2024 ist das Jahr des Snacks“, heißt es in der Neuen Zürcher Zeitung. Mahlzeiten seien von gestern. Statt Frühstück, Mittag- und Abendessen einzunehmen, wird gesnackt, und zwar den ganzen Tag über.
Keine Frage, eine solche Flexibilität kommt dem heutigen Lebensstil insbesondere vieler Großstädter sehr entgegen. Alles muss schnell, bequem und vermeintlich cool sein. Doch passt dieses im wörtlichen Sinne Fast Food tatsächlich zu dem „guten Leben“, wie es sich die meisten von uns mehr oder minder offen wünschen? Zeit, am Wochenende vielleicht mal darüber nachzudenken …
In diesem Sinne verbleibe ich mit den besten Grüßen
Ihr
Jürgen Wermser
Redaktionsleitung/Koordination
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