Wie berechtigt sind die Forderungen, einen Handel für Verschmutzungszertifikate (ETS) für die europäische Landwirtschaft aufzubauen
Da sich extreme Wetterereignisse häufen, sind Landwirte in Europa Hauptleidtragende des Klimawandels. Das Wechselspiel zwischen Landwirtschaft und Klimaschutz ist komplexer als in anderen Wirtschaftsbereichen. Die Landwirtschaft schützt zum einen das Klima, etwa indem CO₂ aus der Atmosphäre in Pflanzen eingelagert und zum Beispiel in Holz für die Bauwirtschaft dauerhaft gebunden wird. Doch die Branche emittiert auch klimaschädliche Gase. Und deswegen gibt es Überlegungen, auch für die Landwirtschaft einen EU-weiten Handel mit Verschmutzungszertifikaten (ETS) aufzubauen. Sicher: Der ETS für Industrieemissionen hat sich als marktwirtschaftliches Instrument zum Abbau von CO₂-Emissionen bewährt. Ob aber ein ETS für die Landwirtschaft Priorität haben sollte, das muss bezweifelt werden.
Zwei Gründe sind dafür ausschlaggebend: Zum einen machen klimaschädliche Gase, die ihren Ursprung in der Landwirtschaft haben, mit rund sieben Prozent nur einen vergleichsweise geringen Anteil an der Gesamtbelastung aus. Vor allem aber: Der Großteil der Klimagase in der Landwirtschaft entsteht bei der Verdauung der Tiere oder nach der Ausbringung des natürlichen Düngers auf die Böden. Das heißt, die schädlichen Gase, vor allem Methan und Lachgas, sind Emissionen, die bei den natürlichen Produktionsbedingungen der Bauern freigesetzt werden. Dafür einen verpflichtenden Abbaupfad zu entwerfen wie etwa beim Einsatz von fossiler Energie in der Industrie, würde die Viehhaltung an sich infrage stellen.
Um es konkret zu machen: Etwa die Hälfte der Klimagase der deutschen Landwirtschaft entsteht in Form von Methan bei der Verdauung des Viehs. 2022 betrugen die Emissionen der deutschen Landwirtschaft insgesamt etwa 53,3 Millionen Tonnen. Ein weiteres Viertel ist Lachgas, das aus den Böden freigesetzt wird. Das restliche Viertel der Emissionen kommt von der Ausbringung des natürlichen Düngers, der Lagerung von Pflanzengärresten, Kalkung und Harnstoffanwendungen. Das CO₂, das bei der Verbrennung von Diesel in Traktoren und Mähdreschern und beim Heizen entsteht, ist dagegen zu vernachlässigen.
Die Landwirtschaft lebt beim Fleisch nicht über ihr Verhältnisse
Der Ausstoß von Methan durch wiederkäuende Rinder gilt als besonders klimaschädlich. Methan und Lachgas haben ein deutlich höheres Potenzial, das Klima zu schädigen, als etwa Kohlendioxid. Allerdings streiten Wissenschaftler zunehmend darüber, ob Methan von Tieren genauso klimaschädlich ist wie anderes Methan. Außerdem hilft ein Blick darauf, wie es um die Versorgung der Bevölkerung mit Fleisch in Deutschland bestellt ist. Bei Rind, Kalb und Hühnerfleisch liegt der Selbstversorgungsgrad der deutschen Landwirtschaft etwa bei 100 Prozent. Lediglich bei Schwein wird hierzulande 30 Prozent mehr geschlachtet, als von den deutschen Verbrauchern gegessen wird. Die deutschen Landwirte produzieren mit der Ausnahme von Schweinen weitgehend, um die Bedürfnisse der deutschen Verbraucher zu befriedigen. Die deutsche Landwirtschaft lebt also beim Fleisch nicht über ihre Verhältnisse.
Die Reduktion des Methananteils der deutschen Landwirtschaft wäre nur zu haben, wenn entweder drastisch weniger Fleisch gegessen oder im großen Stil Fleisch importiert würde. Beides wäre problematisch: Der verordnete Umstieg auf vegetarische Kost wäre eine Bevormundung der Verbraucher. Der Import von Fleisch würde Emissionen anderswo entstehen lassen.
Interessant in diesem Zusammenhang: Ursula von der Leyen, die bisherige und künftige Chefin der EU-Kommission, hat die mögliche Einführung eines ETS für den Agrarbereich in ihrer Bewerbungsrede im Juli vor dem Europaparlament mit keinem Wort erwähnt. Dies kann als Hinweis gewertet werden, dass ein Agri-ETS auf ihrer Prioritätenliste eher im unteren Bereich angesiedelt ist.
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