Immer mehr traditionelle Gasthäuser und Restaurants schließen. Das stille Sterben der Gastronomie trifft vor allem den ländlichen Raum. Was tut die Regierung?
Die Öffentlichkeit reagierte geschockt: Starkoch Steffen Henssler musste im Dezember seine Sushi Bar „Happi by Henssler“ in Bremen wieder schließen. In Dortmund erwischte es sogar zwei Sterne-Restaurants – in einem Jahr. Bitter für die Spitzengastronomie. Doch unbeobachtet von der Öffentlichkeit oder den Medien gibt es in Deutschland flächendeckend ein gravierendes Restaurant- und Gastronomiesterben. Im Stillen, unbeobachtet, weil viele Betriebe weit weg von den Metropolen ihren Sitz haben. Seit Jahrzehnten. Der Prozess ist schleichend, trifft vor allem Familienunternehmen, die ihre Betriebe oft über Generationen führen.
Nach Angaben des Branchenverbandes Dehoga sorgten massive Umsatzeinbrüche allein in den Jahren 2020 und 2021 dafür, dass über 36.000 Unternehmen von der gastronomischen Landkarte verschwunden sind. Für immer. Ein Beispiel: Allein in Sachsen mussten 1452 Gasthöfe Lichter und Herde ausschalten. Im Schnitt waren dies drei pro Gemeinde. In Baden-Württemberg waren es 5000 Betriebe, in Nordrhein-Westfalen 5000 von 50.000. Einfach weg, geschlossen, mit einem Schild versehen: „Wir verabschieden uns von unseren Gästen.“ Das Gefühl des „Es-wird-alles-schlechter“ – gerade im ländlichen Raum des Ostens schlägt sich das nicht nur gesellschaftlich-sozial nieder. Sondern in Umfragen, bald wohl auch in Wahlen.
Ein Grund für das massive Restaurant- und Gastrosterben war natürlich die Pandemie. Die Lockdowns sorgten in der Branche für Umsatzeinbrüche von bis zu 95 Prozent. Viele Mitarbeiter verloren ihren Job, wanderten ab in andere Branchen, die sich besser durch Corona retten und höhere Gehälter zahlen konnten. Der plötzlich boomende Außer-Haus-Verkauf rettete einige Betriebe zwar. Doch das klappte zumeist in den Ballungszentren, weniger gut im ländlichen Raum. Dort waren und sind Restaurants und Gasthäuser oder Kneipen immer mehr als pure Essens-Orte gewesen, sondern zum Teil mit Saalbetrieb Orte der Geselligkeit und des sozialen Miteinanders. Für Vereine, Familien, Generationen.
Scholz erinnert sich nicht
Die damalige Bundesregierung stützte in den dunklen Jahren der Pandemie die Tourismus- und Gastronomiebranche mit insgesamt 24,5 Milliarden Euro – knapp die Hälfte der ausgezahlten Überbrückungshilfen. Ein ungeheurer Kraftakt. Doch irgendwann drehte sich der Wind, wurde die Solidarität mit der Gastronomie-Branche, die immerhin über zwei Millionen Menschen beschäftigt, brüchig. Ende des vergangenen Jahres stand in Berlin die Entscheidung an, ob die im Zuge der Corona-Hilfen eingeführte Mehrwertsteuersenkung auf Speisen in der Gastronomie weiter beibehalten wird. Sieben Prozent oder 19 Prozent? Ein Schnitzel für 25 Euro oder für 28 Euro? Das Versprechen war gegeben, amtlich vom damaligen SPD-Spitzenkandidaten Olaf Scholz in der ARD-Wahlarena: „Das schaffen wir nie wieder ab.“ Beständig ermahnte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Ampel, sich im Sinne der beschäftigungsintensiven Branche daran zu erinnern.
Argumente für den ermäßigten Steuersatz gab es jede Menge: 2022 und 2023 verteuerte die Inflation die Kosten für Lebensmittel (plus 20 Prozent), Energie (15 Prozent) und Gehälter (12 Prozent) immens. In 23 von 27 EU-Staaten gilt der reduzierte Mehrwertsteuersatz auf Essen. „Hier stehen gerade grenznahe Betriebe und Regionen unter erheblichem Konkurrenzdruck. Wir wollen nicht, dass noch mehr Betriebe den Schlüssel umdrehen müssen. Wenn die letzte Kneipe stirbt, wird es still im Dorf“, begründete die Unions-Opposition ihren Gesetzesantrag. Besonders widersinnig: Die Restaurants und Gasthöfe müssen für ihr Essen im Raum 19 Prozent Steuern zahlen (und berechnen), Lieferdienste, die vor allem in den Städten boomen, unterliegen für ihr Angebot „Essen-to-go“ dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent. Neben den schlechteren Arbeitsbedingungen produzieren diese Lieferdienste Unmengen an Verpackungsmüll. Tag für Tag.
Wirte haben Angst vor Preiserhöhungen
Doch die Ampel lehnte trotz Protests der Branche den Antrag der Opposition im Bundestag kalt ab. Auch hier grassierte eigene Vergesslichkeit – auch und gerade bei der FDP, die noch wenige Wochen zuvor im bayerischen Landtagswahlkampf proaktiv erklärt hatte, die Mehrwertsteuer bei sieben Prozent belassen zu wollen. Nach der Landtagswahl war auch dies vergessen. Die Regierenden beriefen sich nun in ihrer Ablehnung jammernd auf das von ihnen selbst verursachte 60-Milliarden-Haushaltsloch, das ihnen vor dem Bundesverfassungsgericht schonungslos um die Ohren gehauen wurde.
Die Gastronomiebranche kämpft nun sein Jahresbeginn mit diesen Konsequenzen – und einem Preisschock. Das Schnitzel für 30 Euro, der Flammkuchen für 18 Euro, das können oder wollen sich immer weniger Menschen leisten. 12.000 weitere Betriebe stehen laut Branchenverband bundesweit vor dem Aus. Viele Restaurants haben sich noch gar nicht getraut, die höheren Preise auf ihre Speisekarte zu drucken, um nicht Kunden und Gäste zu verschrecken. „Ich merke schon heute, dass Gäste seltener kommen, weniger bestellen oder gar nicht mehr. Das wird sich im Jahr noch verschärfen“, erklärt ein Gastwirt aus Thüringen. Das dicke Ende kann also noch kommen. Und dann könnten weitere Lagerfeuer für die dörfliche Gemeinschaft ausgehen.
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