Nach der Europawahl wollen Grüne mit Christdemokraten, Sozialisten und Liberalen eine informelle Zusammenarbeit schmieden. Ausgerechnet in der wichtigen Landwirtschaftspolitik gibt es aber kaum Gemeinsamkeiten
In der Agrarpolitik dürften nach der Europawahl die härtesten Nüsse zu knacken sein, wenn die proeuropäischen Parteien über eine Zusammenarbeit verhandeln. Es wird wohl kein Politikfeld geben, bei dem die christdemokratische EVP von Manfred Weber, die wieder die größte Fraktion stellen wird, und die Grünen weiter voneinander entfernt sind.
Zum Hintergrund: Im Europaparlament sind offizielle Koalitionen zwischen den Fraktionen unüblich. Vielmehr verabreden die proeuropäischen Fraktionen im Straßburger Parlament eine informelle Zusammenarbeit. Sie verständigen sich darauf, wie die Topjobs, etwa an der Spitze von Kommission, Parlament und Europäischer Zentralbank, besetzt werden. Und sie treffen inhaltliche Absprachen. Während 2019 nur Christdemokraten, Sozialisten und Liberale die „Von-der-Leyen-Koalition“ bildeten, wollen diesmal die Grünen mit von der Partie sein. Umfragen deuten darauf hin, dass das sozial-liberal-bürgerliche Lager Sitze verlieren und daher bei der Wahl des Kommissionspräsidenten, mutmaßlich wieder Ursula von der Leyen, im Europaparlament auch auf die Stimmen der Grünen angewiesen sein wird.
Probleme, einen Minimalkonsens zu finden, dürften Christdemokraten, Sozialisten, Liberale und Grüne bei vielen Themen haben, etwa in der Handelspolitik, bei Verteidigung, Industriepolitik und Asyl. Aber die größten Schwierigkeiten werden in der Agrar- und Landwirtschaftspolitik erwartet. In der abgelaufenen Wahlperiode haben die Grünen Fundamentalopposition gegen die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) betrieben, als diese für die aktuelle Förderperiode und damit für die Jahre 2023 bis 2027 beschlossen wurde. Auch diesmal wird wohl der Zeitraum, in der die GAP gilt, verlängert werden; vermutlich wird die neue GAP erst 2030 in Kraft treten und damit die Landwirtschaftspolitik der EU bis Mitte der 30-er Jahre prägen.
Unterschiedliche Zielgruppen
Zwischen Grünen und den anderen Kräften der informellen Von-der-Leyen-Koalition II wird die Agrarpolitik der Kernkonflikt werden, weil die Positionen weit voneinander entfernt sind und zudem kaum vereinbar scheinen. Die abgrundtiefen Unterschiede fangen schon mit der Zielgruppe an. Die Grünen machen Agrarpolitik, die sich ausschließlich an die Minderheit der Ökolandwirte richtet. 2020 wurde im EU-Schnitt 9,1 Prozent der Fläche nach ökologischen Maßstäben bewirtschaftet. 2030 sollen es nach den hehren, aber unerfüllbaren Zielen der Kommission 25 Prozent werden.
Die Grünen haben die Interessen der konventionell wirtschaftenden Betriebe nicht im Blick. In ihrem Verständnis sollen sie möglichst bald umstellen. Dagegen gehen Christdemokraten, Liberale und Sozialisten von einer Koexistenz von ökologischer und konventioneller Landwirtschaft aus. Während Grüne an erste Stelle die Ökologie setzen, betrachten Agrarpolitiker von Christdemokraten, Liberalen und Sozialisten auch die ökonomischen und sozialen Facetten der Landwirtschaftspolitik. Sie sind etwa dafür, Handelsabkommen zu schließen, und kämpfen für die Flächenprämie als Stütze der Einkommen vieler Bauern.
Klassische Agrarpolitiker halten es zudem für wichtig, die Ernährungssicherheit in Europa zu gewährleisten. Sie wollen dafür sorgen, dass die europäischen Bauern möglichst umfassend die 450 Millionen Verbraucher in der EU ernähren können. Im Hinblick auf die geostrategischen Risiken mit einem immer aggressiveren Russland und neuen Risiken in Fernost hat die Frage der Selbstversorgung mit Lebensmitteln aber an Berechtigung gewonnen. Für grüne Agrarpolitiker ist Selbstversorgung dagegen nicht erstrebenswert. Im Gegenteil: Etwa bei der Versorgung mit Fleisch streben sie offensiv einen Abbau von Kapazitäten an. Der Konsum an Schwein, Rind und Geflügel der Europäer soll gesenkt werden, wenn es nach ihnen geht.
Streit auch um Tierwohl
Mit Konflikten ist auch bei Tiertransporten und Tierwohl insgesamt zu rechnen. Die Grünen wollen Tiertransporte eindämmen. Dies dürfte vor allem auf den entschiedenen Widerstand von Agrarpolitikern aus Spanien, Portugal sowie aus Rumänien treffen. Die dortigen Viehzüchter argumentieren zu Recht, dass Tiertransportverbote die Freizügigkeit im Binnenmarkt außer Kraft setzen würden.
Unter dem Strich ist festzuhalten: Es ist kein Zufall, warum Grüne und Schwarze bei Koalitionsverhandlungen schon auf Landesebene etwa im Südwesten allergrößte Mühe hatten, zueinander zu kommen. Die Agrarpolitik in der EU ist komplett vergemeinschaftet. Da darf sich niemand wundern, wenn die Fetzen fliegen, sollten Grüne und Schwarze demnächst auf EU-Ebene Wege für eine Zusammenarbeit ausloten.
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