Das Thema bewegt viele am Rhein aufwärts bis weit in die einzelnen Zuflüsse. Es wurde viel getan, um den Fischen über Hindernisse der Zivilisation – etwa an Staumauern – zu helfen. Am Baldeneysee gibt es sogar einen Fischaufzug mit Kamerazählung
Christoph Boll hat sich ein paar auch nicht ganz ernst gemeinte Gedanken über den Inhalt einer amtlichen Mitteilung zum Erfolg der zweifellos anerkennenswerten Bemühungen um die wandernden Fische gemacht:
Heute müssen wir über Exaktheit sprechen. Naturwissenschaften gelten gemeinhin als genau. Da ist einfach alles quantifizier- und messbar. Da gibt es kein vages Ungefähr, Etwa, Zirka oder Rund. Daran hält sich auch das nordrhein-westfälische Umweltministerium. 5.224 Lachse seien seit 1990 in die Laichgewässer nach NRW zurückgekehrt, hat es nun die interessierte Öffentlichkeit wissen lassen.
Donnerwetter, das ist eine Leistung. Nicht von den Lachsen. Die folgen einfach ihrer Natur, wenn sie bis zu 3.000 Kilometer schwimmen, um nach einigen Jahren im Meer wieder in ihre Geburtsgewässer zurückzukehren. Dort, in den Kiesgründen der Rheinzuflüsse, legen sie ihre Eier ab und begründen so die nächste Lachsgeneration. Die Jungfische ziehen nach etwa zwei Jahren als sogenannte Smolts flussabwärts und durch die Meere bis nach Grönland. Dort machen sie Jagd auf Kleinfische, wachsen schnell heran, bevor es sie quasi wieder in die Heimat zieht.
Exakt 5.224 Heimkehrer waren es laut Umweltministerium seit 1990, 139 allein im vergangenen Jahr. Damit war 2023 deutlich erfolgreicher als die trockenen Vorjahre, in denen die Wasserstände oftmals zu niedrig waren und kaum Aufsteiger gezählt werden konnten. Die Ermittlung dieser exakten Zahl – nicht 5.223 oder 5.225 Lachse, nein genau 5.224 – ist eine beachtliche Leistung, die Fragen aufwirft. Wer hat die Ankömmlinge gezählt und begrüßt? Die Umweltminister der 34 Jahre – von Klaus Matthiesen über Bärbel Höhn, Eckhard Uhlenberg, Johannes Remmel, Christina Schulze Föcking, Ursula Heinen-Esser und Lutz Lienenkämper bis zu Oliver Krischer – haben bestimmt nicht persönlich jedem Heimkehrer die Flosse geschüttelt.
Ist vielleicht sogar der ein oder andere Schuppenträger unbemerkt am Empfangskomitee und der Statistik vorbeigeschwommen und hat sozusagen illegal den Vater Rhein passiert? Und da es sich ja ausnahmslos um Heimkehrer handelt, könnte auch diskutiert werden, ob nicht eigentlich seit der Schaffung des Heimatministeriums im Jahr 2017 dieses hätte zuständig sein müssen. Von einem entsprechenden Ressortstreit mit der durchaus um ihren Einfluss bemühten Ina Scharrenbach war aber nie ein Wort zu hören.
1,4 Millionen Junglachse in das Rheinsystem gesetzt
Es ist anzunehmen, dass den Lachsen, die durch die Verschmutzung und den Verbau der Gewässer und Überfischung im vergangenen Jahrhundert im Rheinsystem als ausgestorben galten, solche machtpolitischen Rangeleien sozusagen an den Kiemen vorbeigehen. Sie profitieren wie die weiteren Wanderfischarten Nordseeschnäpel, Maifisch und Aal von dem 1998 gestarteten Wanderfischprogramm, das eine gemeinsame Initiative des Landes und des Fischereiverbandes NRW ist. Damit sich die Lachsbestände in Nordrhein-Westfalen aus eigener Kraft erhalten können, ist es wichtig, dass die Laichgewässer in den Oberläufen für die Elterntiere erreichbar sind. Daher arbeiten das Land und die verschiedenen Partner an einer Verbesserung der Durchgängigkeit der Fischlebensräume. Beispiele sind die Kraftwerke Unkelmühle an der Sieg und Auer Kotten an der Wupper mit modernen Fischpässen und -schutzanlagen.
Eingebunden in das Wanderfischprogramm ist auch das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) mit seinem Standort Albaum. Dort werden Lachs-Elternfische gehalten, um junge Lachse zur Stärkung der Population im Rhein-System aufzuziehen. An diesem Punkt verlässt das Umweltministerium den tugendhaften Pfad wissenschaftlicher Exaktheit. „Rund 1,4 Millionen Junglachse“ seien im Jahr 2024 insgesamt durch alle Rheinanliegerstaaten in das Rheinsystem gesetzt worden, davon „rund 581.000“ in die nordrhein-westfälischen Lachsgewässer. Bei diesen Größenordnungen muss man wohl Nachsicht mit der zahlenmäßigen Unschärfe haben. Schließlich sind Lachse neben Uhus, Wildkatzen, Bibern oder Weißstörchen auch nur eine Art, die nach und nach wieder ihre Lebensräume im bevölkerungsreichsten Bundesland zurückerobert.
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