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Wolfgang Molitor

Galgenfrist statt Garantie: Die Autokrise erreicht den ländlichen Raum

Der Landkreistag schlägt Alarm: Im Umland der großen Fabriken leiden viele konzernabhängige Kfz-Zulieferer schon jetzt unter Absatz- und Strukturproblemen


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Foto: fritz zühlke / pixelio.de

Der Spruch hält sich in Stuttgart seit vielen Jahrzehnten. „Wenn der Daimler hustet, hat die ganze Region Husten.“ Jetzt ist es wieder so weit. Der Automobilkonzern, abseits einiger Tiefschläge stets ein Flaggschiff für Wohlstand, Qualität und Visionen, meldet schlechte Zahlen und Perspektiven. Die Krise der Automobilindustrie, die chinesische staatssubventionierte Offensive, politische Querschüsse und Fehlentscheidungen, ein im internationalen Vergleich überteuertes Lohnniveau, dazu globale Konjunkturschwäche, das zu langsame Hochlaufen der Elektromobilität: Es kommt zurzeit knüppeldick. Die Lage ist so bedrohlich, dass der Standort Deutschland wankt und damit Zehntausende Arbeitsplätze vor dem Aus stehen oder mit Gehaltseinbußen rechnen müssen.


Doch es trifft ja nicht nur die Automobilriesen wie Mercedes, BMW oder VW, den Stolz der imageprägenden deutschen Exportindustrie. Betroffen sind nicht zuletzt viele Zuliefererfirmen, die unter den ausbleibenden Aufträgen der Auto-Ammen zu leiden haben. Was auch heißt: Wenn die großen Standorte in Stuttgart, Wolfsburg, Neckarsulm, München und anderswo husten, kratzt die seit längerem erhöhte Temperatur der vielen oft weltmarktführenden, oft im ländlichen Umland angesiedelten Zulieferer an der Fiebergrenze.


Zuliefererbetriebe größtenteils im ländlichen Raum


Da war es nur eine Frage der Zeit, dass der Landkreistag die Alarmglocke läutet und davor warnt, die Krise bei VW könnte auch zu Problemen auf dem Land führen. Die aktuellen Entwicklungen bei VW seien nicht nur für den Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt ein echter Schock, sondern gerade auch für die Kfz-Zuliefererbetriebe, die größtenteils im ländlichen Raum ansässig sind, sagt Verbandspräsident Achim Brötel. Denn dabei gehe es auch um eine Vielzahl von Arbeitsplätzen in den ländlichen Räumen, um Steuereinnahmen und nicht zuletzt um ganz konkrete Zukunftsperspektiven für viele Menschen und ihre Familien.


Der weltweit größte Kfz-Zulieferer sitzt in Stuttgart. Wenn schon der Technologieriese Bosch laut darüber nachdenkt, zu den bereits vor Wochen wegen ausbleibender Aufträge angekündigten 7000 Stellenstreichungen vor allem in Deutschland weitere Jobs abzubauen, dann ist die Lage ernst. Zwar hat Bosch an den deutschen Standorten seiner Mobilitätssparte betriebsbedingte Kündigungen bis 2027 ausgeschlossen. Stellen können aber etwa über Abfindungsprogramme trotzdem verschwinden. Das ist mehr Galgenfrist als Jobgarantie.


Milliardenstrafen durch unrealistische politische Ziele?


Nicht nur Brötel sieht die Rahmenbedingungen für erfolgreiches wirtschaftliches Handeln in Deutschland dramatisch verschlechtert. Man könne die Wirtschaft nicht nur mit immer neuen Vorschriften gängeln, sondern müsse wieder lernen, dass erfolgreiches unternehmerisches Handeln die Grundlage des Wohlstandes und des Sozialstaats sei. Bosch-Chef Stefan Hartung pflichtet ihm bei: Die Kunden wollten vor allem den politischen Vorgaben nicht folgen. Unberechenbare Regulierung wie beim Heizungsgesetz oder Zweifel, ob die Elektromobilität wirklich klimafreundlicher ist als effiziente Verbrennertechnologie, das sind laut Hartung die vorrangigen Hemmnisse – und nicht zu hohe Preise. Nicht zuletzt müsse eine Revision der EU-Klimavorgaben stattfinden. Hartung fragt zu Recht: Welche Folgen haben die ab 2025 geltenden Strafzahlungen bei Überschreitung der Flottengrenzen für Automobilhersteller und ihre Fähigkeiten im weltweiten Wettbewerb, „wenn sie Milliarden an Strafe zahlen müssen, weil wir uns unrealistische Ziele gesetzt haben?“


Für die Bürgermeister und Kämmerer in den Umland-Gemeinden, die von den Steuereinnahmen der Zulieferer in hohem Maße abhängig sind, um ihren Haushalt zahlungs- und investitionsfähig zu halten, um Schulen und Kitas zu sanieren, Sportvereine zu unterstützen, Flüchtlingskosten zu schultern oder Infrastruktur und Digitalisierung zukunftstauglich zu machen, werden die Probleme damit noch größer. Die Krise der Automobilkrise könnte so schnell zur Krise vieler kommunaler Haushalte werden. Dann geht es schnell – vom Großstadt-Husten der Konzerne zur Lungenentzündung der ländlichen Kommunen.

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