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  • Hugo Müller-Vogg

Die Ernten könnten bald noch schwieriger werden

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Olaf Scholz fordert kurz vor der Europawahl, den Mindestlohn auf 15 Euro zu erhöhen. Der Vorstoß zeigt: Dem Kanzler mangelt es an Respekt vor dem Mindestlohngesetz und auch den Nöten der Landwirtschaft


Spargel und Erdbeeeren
Foto: Lilo Kapp / pixelio.de

Spargel, Erdbeeren, Obst- und Weinbau lassen sich ohne Saisonarbeitskräfte, die zum Mindestlohn beschäftigt werden, kaum ernten. Oder heißt die Rechnung des Kanzlers schlicht: höhere Löhne gleich höhere Preise? Der Kanzler im Wahlkampfmodus. Auch mit Olaf Scholz auf den Plakaten für die Europawahl liegt die SPD in den Umfragen bei 14 Prozent – Platz 4 hinter CDU/CSU, Grünen und AfD. Da muss ein Thema her, koste es, was es wolle. Also greift Scholz in die Kiste der Wahlkampfutensilien von 2021 und holt die Mindestlohnerhöhung heraus. Den auf zwölf Euro in der Stunde zu erhöhen, hatte er vor der Wahl versprochen. Und mithilfe von Grünen und FDP hielt er Wort. Die Lohnuntergrenze wurde von den damals geltenden 10,45 Euro zum 1. Oktober 2022 auf zwölf Euro angehoben.

 

Weil das Mindestlohnmanöver 2021 der SPD Stimmen und Scholz die Kanzlerschaft gebracht hat, soll das jetzt wiederholt werden. Im „Stern“ hat sich Scholz für eine schrittweise Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro ausgesprochen. „Ich bin klar dafür, den Mindestlohn erst auf 14 Euro, dann im nächsten Schritt auf 15 Euro anzuheben.“ Diesen Vorstoß verband der Kanzler mit deutlicher Kritik an der Mindestlohnkommission. „Die Arbeitgeber haben nur auf einer Mini-Anpassung beharrt“, klagte er. Gemeint sind die Erhöhungen zum 1. Januar 2024 auf 12,41 Euro und zum 1. Januar 2025 auf 12,82 Euro.

 

Dabei geht die Lohnuntergrenze, die kein Arbeitgeber unterschreiten darf, die Politik gar nichts an. Dafür ist die Mindestlohnkommission zuständig, paritätisch von Arbeitgebern und Gewerkschaften besetzt, mit einem neutralen Vorsitzenden. Diese Kommission ist 2014 von der Großen Koalition eingerichtet worden. Die CDU/CSU wollte verhindern, dass über den Mindestentlohnung im Kabinett oder im Parlament entschieden wird. Ob der damalige Finanzminister Scholz etwa vergessen hat, dass er da dabei war?

 

Jedenfalls machte die SPD im Bundestagswahlkampf 2021 den Mindestlohn zum zentralen Wahlkampfthema. Das geltende Gesetz interessiert den SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz herzlich wenig – ebenso wenig wie jetzt den auf Wahlkampf eingestellten Kanzler. Nach der Wahl taten die Ampel-Parteien dann so, als sollte der direkte Eingriff der Politik in die Lohnfindung ein einmaliger Akt bleiben. So heißt es im Koalitionsvertrag: Nach der „einmaligen Anpassung auf 12 Euro“ werde dann „die unabhängige Mindestlohnkommission über die etwaigen weiteren Erhöhungsschritte befinden.“ Ob Scholz sich auch daran nicht mehr erinnern kann?


Lohnfindung nach parteipolitischem Kalkül


SPD, Grüne und Gewerkschaften jedenfalls trommeln schon seit fast einem Jahr dafür, Lohnpolitik an der Kommission vorbei zu machen. Die rechtskräftigen Beschlüsse vom Juni 2023, interessieren das linksgrüne Lager nicht. Es ruft seitdem nach 14 oder 15 Euro. Dahinter steckt die Überlegung, falls die Kommission nicht so entscheidet, wie die Gewerkschaften und die Parteien links der Mitte es gerne hätten, dann übernimmt eben die Politik. Das führt zur Lohnpolitik per Gesetz.

 

Was Scholz & Genossen stört, ist Folgendes: Bei der Entscheidung im Juni 2023 wurden die Gewerkschaftsvertreter in der Kommission überstimmt: von den Arbeitgebern und der Vorsitzenden Christiane Schönefeld, bis 2022 im Vorstand der Bundesagentur für Arbeit. Genau dies sieht das Gesetz vor, dass nämlich bei einem Patt der Vorsitzende den Ausschlag gibt.


Gleichwohl reißen seitdem die Forderungen von links, die Regierung müsse hier eingreifen, nicht ab. SPD, Grüne und Gewerkschaften sind sich einig: Die Kommission soll ausgeschaltet, die Lohnpolitik parteipolitisch instrumentalisiert werden. Jetzt wissen sie einen mächtigen Verbündeten an ihrer Seite: den Regierungschef.


Da stellt sich die Frage, ob unsere Volkswirtschaft die Lohnfindung nach parteipolitischem Kalkül auf Dauer verkraften kann? Denn eine Anhebung der Lohnuntergrenze führt zwangsläufig zu einer Verschiebung der Lohnskala nach oben. Das liegt in der Logik des Systems: Wer bisher 14 Euro verdient hat, wird folglich auf eine entsprechende Erhöhung pochen. Die Gewerkschaften werden das in der nächsten Tarifrunde auch durchsetzen.


Die Bürger sollen entscheiden, was andere zu zahlen haben


Scholz hat die Politisierung des Mindestlohns 2021 eingeführt, jetzt setzt er diese fort. Folglich werden die kommenden Wahlkämpfe nicht zuletzt um den Mindestlohn geführt werden. Die Bürger sollen entscheiden, was andere zu zahlen haben. Die Wähler brauchen sich über die Folgen keine Gedanken zu machen. Die höheren Arbeitskosten haben schließlich die Unternehmen zu stemmen.

 

SPD und Grüne wollen sich als Parteien mit sozialem Gewissen präsentieren. Zugleich versuchen sie, auf diesem Weg von ihrer mäßig erfolgreichen Regierungspolitik ablenken. Ohnehin ist die politische Linke stets bereit, das Geld anderer großzügig zu verteilen. Auch will sie die Politisierung der Lohn- und Gehaltsfindung weiter vorantreiben. Nach dem Zugriff des Staates auf die Lohnuntergrenze könnte dann die Begrenzung der Managergehälter folgen. Darüber machen sich SPD und Grüne schon seit Jahren Gedanken.

 

Der Kanzler beschwört ebenso wie SPD und Grüne gerne Tarifautonomie und Sozialpartnerschaft. Arbeitgeber und Gewerkschaften sollen über Löhne, Arbeitszeiten und andere Arbeitsbedingungen frei entscheiden. In Wirklichkeit engt die Politik die Entscheidungsfreiheit der Tarifpartner ständig ein. Die Gewerkschaften stört das nicht, weil sie mit der Politik an ihrer Seite mächtiger sind, als sie aufgrund der Zahl ihrer Mitglieder und deren Kampfbereitschaft wären. Wofür der Staat sorgt, das muss man nicht mehr erkämpfen.

 

Nach rot-grüner Logik läge es nahe, noch mehr Einzelheiten des Arbeitslebens im politischen Prozess zu entscheiden, das heißt: in die Hände der Wähler zu legen: Untergrenzen, Obergrenzen, Mindeststandards – bis hin zur freien Wahl der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich. Ob Olaf Scholz das wirklich will? Der Mindestlohn-Vorstoß des „Respekt“-Kanzlers zeigt jedenfalls eines: Olaf Scholz mangelt es an jeglichem Respekt vor dem Mindestlohngesetz, dem Koalitionsvertrag und der Tarifautonomie.


 

Unser Gastautor Dr. Hugo Müller-Vogg, ehemaliger F.A.Z.-Herausgeber, zählt zu den erfahrenen Beobachtern des Berliner Politikbetriebes. Als Publizist und Autor zahlreicher Bücher analysiert und kommentiert er Politik und Gesellschaft. www.hugo-mueller-vogg.de und www.facebook.com/mueller-vogg

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