Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit subjektivem Blick auf diese Woche
Liebe Leserinnen und Leser,
vielleicht passt es heute, bei allem Ernst in diesen Zeiten und nach Karneval zum Monatswechsel ausnahmsweise auch einmal zu kalauern: Der März ist gekommen – und der Merz tingelt durchs Land. Bei der CDU haben Vorsitzender und Generalsekretär das vierte Grundsatzprogramm der Parteigeschichte mit einem Diskussionsmarathon im Entwurf auf den Weg durch die Basis gebracht. Bis zum 22. März ist die Parteispitze auf Deutschlandtour, um das Papier zum finalen Beschluss Anfang Mai auf einem Bundesparteitag zu führen. Man möchte die Programmatik als Kern des Selbstverständnisses der CDU auf ein breites Fundament legen. Es liegt auf der Hand, den Entwurf besonders auch auf Aussagen zur Entwicklung des ländlichen Raumes (der Herkunft von wohl mehr als der Hälfte der CDU-Stammwähler) durchzusehen. In der Zusammenfassung „Grundsätzlich CDU“ fallen Begriffe wie Heimat und Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft ins Auge. Vielleicht ist da doch noch etwas mehr …
Abgelöst wird das Grundsatzprogramm 2007 und damit aus der Merkel-Zeit mit der Überschrift „Freiheit und Sicherheit“. Dabei wird sich wohl an den Inhalten zu diesen beiden Begriffen selbst nichts ändern. Kontroverse Debatten gibt es aktuell in der CDU, wie die Gesellschaft „zusammenhält und Chancen eröffnet“, was im Ziel der politischen Arbeit beschrieben wird. Und ob der Satz in Kapitel drei mit einem Bekenntnis zur „deutschen Leitkultur“ nach der Deutschlandtour mit Merz & Linnemann durch sechs regionale Basisveranstaltungen am Ende beim finalen Beschluss enthalten bleibt. Da zeichnen sich bis zum abschließenden Parteitag weitere kontroverse Debatten zumindest darüber ab, wie die Leitkultur beschrieben wird. Es geht um Begriffe wie Achtung der Menschenwürde, um Grund- und Menschenrechte, um Rechtsstaat, Toleranz und auch um das Existenzrecht Israels. Dahinter verbergen sich Formulierungen, wie ausgeprägt konservativ sich die Partei in Zukunft versteht. Das ist schon aktuell in der Debatte gravierend unterschiedlich zu Merkels immer wieder bemühten Zitat „Wir schaffen das“ oder Wulffs Satz von 2010: „Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“
Der Umgang mit der AfD und notwendige Grenzziehungen
Damit befinden wir uns in den aktuellen, breiten gesellschaftlichen Diskussionen, auch über den Umgang mit der AfD. Dass da nicht bei allen, aber einigen die Bauernproteste mit ihrer Ausprägung in Deutschland in diesen Tagen eine besondere Rolle spielen, liegt auf der Hand. Inzwischen sind rechtsextreme Missbrauchsversuche für andere politische Ziele offensichtlich. Die klaren Zeichen der Abgrenzung und Distanzierung von antidemokratischen Trittbrettfahrern durch die organisierte Landwirtschaft sind wirkungsvoll und glaubwürdig. Mit den Verbandsgremien nicht abgestimmte Wut-Annäherungen mit Großgerät, körperlichem Einsatz, brennenden Barrikaden und damit gewaltsamen Aktionen helfen der Sache nicht.
Repräsentanten der Grünen standen bei den lokal organisierten Aktionen mit ihrer unterschiedlichen Treibkraft im Fokus. Zersplitterte Scheiben von Dienstlimousinen oder körperliche Attacken grenzen an oder sind Straftatbestände. Die andere Seite der Betrachtung führt zu der Frage, was das denn alles auslöst. Im Artikel 14 unseres Grundgesetzes steht: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Gerade bei land- und forstwirtschaftlichem Eigentum ist die Grenzziehung von politischen und administrativen Eingriffen ein höchst sensibles Thema. Da können nun einmal auch emotionale Reaktionen ins Spiel kommen.
Die Klaviatur, den Bauch und nicht die Köpfe anzusteuern, beherrschen nach allen politischen Erfahrungen in der letzten Zeit Mandatsträger, Parteistrategen und vor allem die starken Social-Media-Truppen der AfD. Was da oft witzig in Video, Bild und Text von nicht zu verortenden Accounts scheinbar harmlos und unterhaltsam mit beeinflussender Wirkung auf den Weg gebracht wird, ist bei genauer Betrachtung oft nicht so lustig. Da kommen seriöse Medien mit ihren presserechtlich und selbst gesetzten Kriterien für eine seriöse und wahrheitsgetreue Berichterstattung kaum noch gegen an. Im Gegenteil: Sie müssen sich als Lügenpresse beschimpfen lassen.
Grüne Klausur in der Diaspora
Kommen wir gleichwohl noch einmal zurück zu den Grünen. Auch sie sind in der sitzungsfreien Berliner Woche auf Reisen gegangen. Der Fraktionsausflug in die politische Diaspora nach Leipzig hat beachtenswerteste Schlagzeilen produziert. Selbst die oft zugeneigte Süddeutsche Zeitung hat zur Klausurtagung der Berliner Fraktion festgestellt: „Der Mitte so nah – Verständnis für Autofahrer, ein Angebot an den Osten und eine Charmeoffensive in Richtung der CDU-Ministerpräsidenten: Die Grünen springen bei ihrer Fraktionsklausur über viele Schatten.“ Der für Landwirtschaft zuständige Minister Cem Özdemir steht da in der ersten Reihe. Bei ihm zeigen die erlebten legitimen Proteste offensichtlich schon Wirkung.
Andererseits wird auf derselben Klausurtagung der liberale Koalitionspartner wahrscheinlich wieder auf die Palme gebracht, wenn wieder in der Regierung anfangs unabgesprochene Themen auf den Tisch gelegt werden: das Klimageld als Auszahlung zum Ausgleich für Nachhaltigkeitsbelastungen der Menschen, kreative neue Formen als „Modernisierung der Schuldenbremse“, das Dienstwagenprivileg oder ein noch mal erhöhter Mindestlohn.
Und dann ist da noch der Alleingang von Robert Habeck, der nach seinen Erfahrungen mit dem Heizungsgesetz dazu übergeht, im Alleingang heilige grüne Kühe zu schlachten. So etwa sein Plan, bei Nichterreichung der Klimaziele industriell anfallendes Kohlendioxyd erst einmal unter dem Meeresboden der Nordsee zu speichern. „Carbon Dioxide Capture and Storage“ (CCS) heißt die Technologie. Deren Anwendung muss er erst einmal in den eigenen Reihen der Partei, dann am Kabinettstisch und letztlich im Parlament durchsetzen. Das Thema ist allerdings im wahrsten Sinne des Wortes auch politisch vergiftet – als 2009 schon einmal ein in Schleswig-Holstein beerdigtes Thema.
Im damals spektakulären Widerstand waren die Grünen und auch die Landes-CDU mit dabei. Der damalige Ministerpräsident Peter Harry Carstensen hat das Projekt zu Fall gebracht, das vorsah, abgeschiedenes CO₂ aus dem Braunkohlekraftwerk Hürth im Rheinland über eine Pipeline diagonal durch Norddeutschland in Nordfriesland unter die Erde zu bringen. Maßgeblich war damals der unabgesprochene gemeinsame Aufstand von Grünen und Bauern. Vor diesen Plänen wählten übrigens über 60 Prozent der Menschen auf den Dörfern die CDU. Carstensen hat danach die Wahl gewonnen. Nun kommt der Schleswig-Holsteiner Robert Habeck erneut mit diesem Reizthema um die Ecke …
Und dann trabt da immer wieder ein neuer Wolf durchs Land …
Kommen wir zum Schluss dieser politischen Wochenbetrachtung mit Blick durch die Brille der Menschen im ländlichen Raum. Unterwegs sind im Vorfrühling auch die Wölfe. Die Jungen traben auf der Suche nach neuen Revieren durchs Land und produzieren erstaunliche Begegnungsbeschreibungen in der Lokalpresse. „Ein Wolf“, staunen die Bewohner eines Hofes an der Körberheide in Münster-Handorf. Der Leiter des dortigen Hegerings kann ihn als Jäger natürlich auch im Video sicher ansprechen. Am Ende des lokalen Artikels heißt es: „Bis zur endgültigen Gewissheit, ob tatsächlich ein Wolf unterwegs war, wird es noch dauern.“ Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) bewerte die Aufnahmen von möglichen Wolfssichtungen abschließend.
Die oft blauäugige Berichterstattung zum Thema Wolf ist wohl auch ein Produkt regierungsamtlicher „Aufklärung“. Das reicht von regelmäßig nach unten geschönten Bestandszahlen bis zum Kleinreden der Risiken. Und zu Verhaltensregeln für Wolfsbegegnungen, die Normalbürger überfordern. Originalton Bundesumweltministerium: „Wenn der Wolf sich nicht zurückzieht und Ihnen die Situation nicht geheuer ist, sprechen Sie laut oder klatschen Sie in die Hände, um sich bemerkbar zu machen. Rennen Sie nicht davon, dies könnte ein Verfolgungsverhalten des Tieres auslösen. Sollte der Wolf sich Ihnen wider Erwarten nähern, bleiben Sie stehen und machen Sie sich groß, versuchen Sie ihn einzuschüchtern. In einem solchen Fall sollten Sie eher einen Schritt auf das Tier zugehen, als zurückweichen.“
Die Wette gilt, dass solche Kaltblütigkeit selbst so manchen Ministerialbeamten überfordern dürfte. Und: Klar ist auch, dass mit zunehmender Wolfsdichte das Risiko solch herausfordernder Begegnungen gerade für Hundehalter deutlich steigt. Selbst wenn Ministerium und Fernseh-Förster Peter Wohlleben das Gegenteil behaupten: 40 Jahre Wolfserfahrung in Skandinavien zeigen, dass die Raubtiere sogar angeleinte Hunde angreifen und ihre Artverwandten mittlerweile nicht nur als Revier-Rivalen bekämpfen, sondern oft als leichte Beute verfolgen.
Dass das eng mit dem NABU verbandelte Ministerium offenkundige Konflikte trotz explodierender Bestände kleinredet, beeinflusst logisch auch die Wahrnehmung in den Medien. Kollegen, die „mal eben“ nach glaubwürdigen Infos suchen, erfahren dort: „Wölfe verhalten sich von Natur aus vorsichtig dem Menschen gegenüber und meiden die direkte Begegnung. Meistens weichen die Wölfe dem Menschen aus, noch ehe er sie bemerkt hat.“ Dass unter Sachkundigen längst das Risiko diskutiert wird, ob sich Deutschlands Wölfe vom Kulturflüchter zum Kulturfolger entwickeln, bleibt unerwähnt.
Mit diesen Hinweisen und der Frage, warum beim Thema Wolf zu oft wenig Sachkunde zu Entscheidungen und Meinungsbildungen führt, schließe ich meine natürlich subjektive Betrachtung für diese Woche ab.
Ihr
Jost Springensguth
Redaktionsleitung / Koordination
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