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Der ländliche Raum macht mobil – und verlangt Antworten

  • Autorenbild: Jost Springensguth
    Jost Springensguth
  • 27. Juni
  • 7 Min. Lesezeit

Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und auf die Bundespolitik


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Liebe Leserin, lieber Leser,


dieser Wochenkommentar wird etwas länger als üblich, weil es einfach viel zu berichten und zu kommentieren gibt. Er beginnt bei der großen Politik, wo der Kanzler sich zurzeit überwiegend mit dem Weltgeschehen befasst. Aus seinem Kabinett kommen derweil erste Initiativen in das Parlament, wo es auch erst einmal um große Themen geht. Wir erinnern daran, dass die Akteure des ländlichen Raumes dazu gehören, wenn es um angemahnte Richtungsentscheidungen geht. So gibt es erste Reaktionen aus der Jägerschaft, die ihre Delegierten nach Bonn zum Bundesjägertag gerufen hat. Von da aus ging es für viele weiter zur Demonstration gegen die Jagdpolitik der Ampelregierung in Mainz. Die Landwirte haben sich von Berlin aus vom Deutschen Bauerntag zu Wort gemeldet. Und wir schließen den Beitrag mit dem, was Angela Merkel unter anderem jetzt vermisst: die ständig frischen Blumensträuße im Kanzleramt.


Während sich unser (noch neuer) Bundeskanzler zum Shooting-Star der Welt- und Europapolitik entwickelt, beginnt in Berlin nach den Ankündigungen zur Koalitionsbildung rund um Ostern jetzt vor den Sommerferien die Lieferzeit in der Innenpolitik. In dieser Woche ging es für Friedrich Merz bei den Gipfeln der Nato und der EU erst mal mehr um die Weltlage. Seine Regierungserklärung im Bundestag hat er neben der Kabinettssitzung am Dienstag und seinem Auftritt beim Tag der Industrie quasi im Zwischenstopp-Tempo in Berlin erledigt. Dort wurden auch in seiner weitgehenden Abwesenheit in der Sitzungswoche weitere Hausaufgaben im Bundestag erledigt. So wurde am Donnerstag der sogenannte „Investitionsbooster“ mit umfangreichen Steuererleichterungen für die Unternehmen beschlossen. Die Mietpreisbremse wurde verlängert und es wurden weitere Ausschüsse besetzt.


In den Ministerien stellen sich die Apparate auf die Neubesetzungen in den Chefetagen ein und liefern erste Vorlagen. Der erste Haushaltsentwurf unter Regie von Finanzminister Lars Klingbeil ging durchs Kabinett. Schon gibt es erste Aufregung um die zugesagte Senkung der Stromsteuer, die wohl zunächst nur „im produzierenden Gewerbe“ ankommen soll, nicht aber in den anderen Unternehmen wie Handel und Dienstleistung; vor allem aber nicht in den privaten Haushalten. Dort würde das im Durchschnitt etwa 100 Euro im Jahr ausmachen. Die einen halten das für verkraftbar, die anderen (u.a. Bild) für die „Erste Steuer-Sauerei der Merz-Regierung“. Finanzpolitisch machen die Investitionsvorhaben für Bundeswehr und Infrastruktur nicht nur Hoffnung, sondern auch Sorgen. Die bis zum Ende der Legislaturperiode geplanten Kreditaufnahmen über 850 Milliarden lösen sicher wirtschaftsfördernde Effekte aus, bereiten aber damit nicht nur Freude, sondern lösen auch Sorgen aus. Auf lange Zeit muss nun einmal in Zins und Tilgung alles bedient werden. Bund und Länder haben sich geeinigt, wie das geschultert werden soll. Details für die vorgesehene Entlastung der Kommunen stehen noch aus. Mal sehen, wie der ländliche Raum mit seinen Kreisen und kleineren Kommunen am Ende dabei abschneidet. Beim Schultern der gesetzlich übertragenen Aufgaben sind sie bekanntlich kräftig dabei.


In der Wirtschaft überwiegt neuerdings wieder der Optimismus. Nach dem Datev-Mittelstandsindex verbessert sich gerade wieder die Lage der kleinen und mittleren Unternehmen. Darüber berichtete die FAZ vorab. Nach einer jahrelang festgestellten Schrumpfung kommt danach im Mittelstand wieder etwas mehr Zuversicht und Freude auf. Im Mai stieg der Umsatz in den kleinen und mittelgroßen Unternehmen nach einem sehr schwachen Vorjahresmonat um 2,8 Prozent. Das ist zwar eine positive Feststellung, aber noch auf wackligem Fundament.


Bei dem, was sich in Deutschland jetzt tut, schauen wir insbesondere auf das, was sich politisch für die ländlichen Räume bewegt, was da nun angepackt wird und auch was Sorgen bereitet. So blicken wir in den letzten Tagen zurück auf den Bundesjägertag. Weiter auf das, was unmittelbar im Anschluss dieselbe Klientel in Rheinland-Pfalz auf die Straße trieb. Und dann auf den Deutschen Bauerntag in Berlin. Das alles hat viel mit Politik zu tun. Überall wird auf Entscheidungen gewartet. Übrigens auch endlich nach der Formulierung im Koalitionsvertrag zum Umgang mit dem Wolf. Wir warten auf Regelungen und Lösungen. Sie müssen im Konfliktfeld zwischen zum Teil schwer geschädigten Tierhaltern sowie Jägern auf der einen Seite und dem Lager organisierter Wolfsschützer auf der anderen gefunden werden. Das Thema kam auf allen drei zitierten Veranstaltungen drängend zur Sprache.


Bundesjägertag: Ethik und eine Hubertusmesse im Kölner Dom


In Bonn trafen sich über 400 Delegierte und Gäste zum Bundesjägertag und haben dort vom Bundeslandwirtschaftsminister Alois Rainer per Videobotschaft die Zusicherung erhalten, dass die Herabstufung des Schutzstatus des Wolfes zu den „prioritären Vorhaben“ der Bundesregierung gehöre. Dafür werde das Bundesnaturschutzgesetz geändert und der Wolf ins Jagdrecht aufgenommen. „Wir setzen auf Ihre Kompetenz und auf Ihre regionale Erfahrung“, sagte Rainer mit Bezug auf das geplante regionale Bestandsmanagement zu den Jägern.


Neben dem Thema Wolf wurden das Waffenrecht und die Entwicklung des ländlichen Raumes in kompetenten Diskussionsrunden in dem Format „Themeninseln“ auf die Agenda gesetzt. Den zentralen inhaltlichen Komplex bildete in Workshops die Jagdethik. Dazu, so sagte der Vorsitzende des Deutschen Jagdverbandes (DJV), Helmut Dammann-Tamke, sei ein Prozess im Verband angestoßen worden, der erleichtern solle, „gegenüber einer in Tierschutzfragen zunehmend kritischen Gesellschaft zu bestehen“. Ein besonderes Zeichen und den für viele der rund 1.200 Teilnehmer bewegenden Höhepunkt bildete im Rahmenprogramm die Hubertusmesse im Kölner Dom. So berichten mir Teilnehmer, wie beeindruckend die „Grande Messe de Saint Hubert“ von Julius Cantin war – mit den satten Tönen aus den Parforcehörnern einer großen Bläsergruppe aus der Region und der Domorgel.


In der nächsten Woche kommen wir in unserem Blog auf einen viel diskutierten Aspekt der Jagd zurück. Unser Autor Christoph Boll beleuchtet einmal, wie weiblich sie in der Geschichte war und in der Gegenwart ist. Das kann ich verraten: Er beginnt bei Artemis und Diana und führt seinen Beitrag zu einer aktuellen Präsidentin.


Und in Mainz trieb es die Jäger wieder auf die Straße


Gut zwei Autostunden entfernt gingen dann in dieser Woche geschätzt 8000 Jäger und damit schon in einer wirkungsvollen Menge in Mainz auf die Straße. In Rheinland-Pfalz werden schon seit Monaten Betroffene der Landesjagdgesetzgebung wegen geplanter grundlegender Änderungen durch die Ampel-Koalition auf den Plan gerufen. Darüber haben wir aktuell berichtet. Und die vom Landesjagdverband zusammengefassten berechtigten Argumente transportiert:

  • Rechtsunsicherheit für Jäger: Ohne eine klare Landesjagdverordnung drohen unklare Regelungen und Unsicherheiten.

  • Ausweitung der Wildschadenshaftung – ein höheres Risiko für Pachtpächterinnen und Landwirtinnen

  • Willkür bei Abschusszahlen – behördliche Eingriffe ohne klare, nachvollziehbare Kriterien, sogar mit der Möglichkeit einer Pachtkündigung

  • Zerschlagung funktionierender Strukturen: Bestehende Verwaltungsstrukturen werden gefährdet, was eine nachhaltige und gerechte Jagd erschwert.

  • Ignorieren der Wildbiologie: Insbesondere Dam- und Muffelwild sind massiv betroffen, ohne Rücksicht auf ökologische Zusammenhänge.

  • Einschränkungen bei Hunde-, Bau- und Fallenjagd: Unverhältnismäßige Einschränkungen gefährden die Praxis einer fairen und tiergerechten Jagd.

  • Entmachtung der Rotwildhegegemeinschaften: Entscheidungen über die Rotwildbestände werden zentralisiert und somit entfällt die regional verantwortungsvolle Hege.

  • Kein Mitspracherecht bei der Wolf-Verantwortung: Jägerinnen und Jäger müssen Verantwortung für den Wolf übernehmen, ohne gleichzeitig echte Rechte und Handlungsoptionen zu haben.


Es ist immer wieder ein grüner politischer Antrieb, der zu schweren Konflikten führt, wenn es um die Jagd geht. Ich erinnere mich an den von Johannes Remmel vor gut zehn Jahren ausgelösten Aufstand der Jäger in NRW damals gegen seine Jagdgesetznovelle. Und den Aufmarsch auf einer durch die Kleidung der Demonstranten rot eingefärbten Rheinbrücke. Anfang des Jahres ein ähnliches Bild, das in Hannover über 20.000 Demonstrierende gegen die Novelle eines Landesjagdgesetzes abgaben. Initiiert wurde sie von der ebenfalls grünen Landwirtschaftsministerin in Niedersachsen, Miriam Staudte. Und nun war es als weitere Parteifreundin Katrin Eder, die für Rheinland-Pfalz den Entwurf für ein neues Landesjagdgesetz auf den Weg brachte. Er bietet unverändert Praktikern in der Jagd und auch erfahrenen Forstfachleuten volle Breitseiten fachlich begründeter Kritik.


Foto: Müller-Varain
Foto: Müller-Varain

Der Druck im Vorfeld durch vielfältige Aktionen aus der Jägerschaft und Partnern im ländlichen Raum von Rheinland-Pfalz löste zwar Korrekturen aus, die insbesondere von SPD und FDP in der Ampelkoalition ausgingen. Grundsätzliches aber wird beibehalten. Das sind unter anderem fragwürdige absehbare behördliche Eingriffe in die Abschussplanung nur mit Argumenten des Landesforstes. Er entfernt sich offensichtlich von den Belangen einer Jagd mit ausgewogenen Wildbeständen immer weiter. Angesiedelt ist die Forstabteilung übrigens im Hause Eder und nicht dort, wo im Kabinett auch Landwirtschaft und Weinbau zu Hause sind. Selbst der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger flankiert mit seiner Parteiadresse als Absender: „Das geplante Jagdgesetz in Rheinland-Pfalz ist praxisfremd, auf Durchregieren ausgerichtet und damit im Kern gegen die Interessen der Grundbesitzer und des an Grund und Boden gebundenen Jagdrechtes.“ Mir wird im Medienecho zu oft vergessen, dass es im Kern auch um Eigentumsrechte geht.


Jedenfalls bleibt nun abzuwarten, was an dem Gesetzentwurf noch wirklich geändert wird. Die Schlagzeilen im Lande konzentrieren sich auf den Änderungswillen der Koalition. Er ist aber offensichtlich marginal. Der Landesjagdverband will das alles erst einmal formuliert sehen, bleibt aber wohl skeptisch. Und das, was bereits geändert wurde, war weitgehend und offensichtlich die Bereinigung fachlicher Fehler.


Die Bauern warten auf schnelle und wirksame Reformen


Bleiben wir im ländlichen Raum und blicken weiter auf den Deutschen Bauerntag in dieser Woche in Berlin. In seiner Grundsatzrede sah sich der Präsident des DBV, Joachim Rukwied, veranlasst, den Politikwechsel anzumahnen. Damit scheint dieser von der Koalition angekündigte neue Schwung auf dem Lande noch nicht angekommen zu sein. Und weiter: „Ohne einen fairen Wettbewerb in der EU bleibt Deutschland kein starker Wirtschaftsstandort.“ So verlange der Berufsstand seit langem einen echten Abbau von Bürokratie sowie eine spürbare Entlastung für die Betriebe. Insbesondere unter den Tierhaltern bleibe die Unsicherheit groß. Hier brauche es Planungssicherheit, Praktikabilität und eine verlässliche Finanzierung. Nur so könne auch der gesellschaftlich gewünschte Umbau der Tierhaltung tatsächlich stattfinden.


Ein Dorn im Auge bleibt in der Landwirtschaft die Erhöhung des Mindestlohns. Der Bauernpräsident forderte jetzt, ihn für Saisonarbeiter auf 80 Prozent abzusenken. Er begründete das damit, dass die ausländischen Arbeitskräfte auf den Feldern, in den Obstplantagen und Weinbergen ihren Lebensmittelpunkt nicht in Deutschland hätten und deshalb niedriger entlohnt werden könnten. Die zuständige Arbeits- und Sozialministerin Bärbel Bas (die neue starke Frau in der Regierungspartei SPD) lehnt dagegen Ausnahmen beim Mindestlohn für Saisonarbeitskräfte strikt ab. Das stelle sowohl nach nationalem als auch nach europäischem Recht eine unzulässige Diskriminierung dar, sagte sie dem Tagesspiegel. So erklärt zum Beispiel die WAZ im Ruhrgebiet ihren vorwiegend urbanen Leserinnen und Lesern, warum Spargel und Erdbeeren im nächsten Jahr wohl weniger und teurer werden. Das wird sich auch nach den am Freitag beschlossenen Erhöhungen auf 13,90 Euro im nächsten Jahr und 14,60 Euro ab 2027 kaum ändern. Für Rukwied bleibt das eine massive Anhebung, die landwirtschaftliche Betriebe zum Ausstieg aus arbeitsintensiven Kulturen zwingen werde.


Kehren wir zum Schluss noch einmal zu unserer früheren Regierungschefin zurück. Zu den Veränderungen in ihrem Leben nach der Kanzlerschaft gehören neue Freiheiten. „Freiheit“ – natürlich anders gemeint – steht auch auf dem Cover ihrer Erinnerungen. Als sie das Buch jetzt in Baden-Baden vorstellte, gestand sie, dass sie neben der Kanzleramtsküche die Blumensträuße im Büro vermisse. „Man ist da reingekommen, man hatte einen schweren Tag vor sich, und es war immer wirklich so toll geschmückt.“ Das ist auch ein Stück Erinnerung. Und eine Freude für unsere Floristinnen oder Gärtner.


In diesem Sinne wünsche ich ein gutes und ein hoffentlich erholsames sonniges Wochenende. Und wenn es regnet, hellt ein Blumenstrauß vielleicht die Stimmung auf.


Ihr Jost Springensguth Redaktionsleitung / Koordination

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